„Alt, aber nicht veraltet“ – mit 120 fit für die digitale Zukunft
Im Jahr 2019 feierten die Ziegel- und Betonwerke August Lücking in Warburg-Bonenburg ihr 120-jähriges Bestehen. Der Geschäftsführende Gesellschafter Joachim Thater hat im Jubiläumsjahr die Verantwortung an die nächste Generation weitergegeben. Seine Tochter Theresa Lemke, Geschäftsführende Gesellschafterin, führt zusammen mit ihrem Mann Richard Lemke, Prokurist, das Unternehmen in die Zukunft – und die wird immer digitaler.
1 Eine Branche im Umbruch
Wenn man die beiden jungen Firmenlenker fragt, wieso sie sich für diese sehr traditionsreiche Branche entschieden haben, unterscheidet sich die Antwort gar nicht so sehr.
Theresa Lemke ist als Tochter eines Ziegeleiunternehmers mit der Ziegelei aufgewachsen und wurde von der Geschichte der Thater-Familie geprägt, die weitverzweigt in der Branche präsent war. Die 29-Jährige hat nun in fünfter Generation die Firmenleitung übernommen, mit einem Verantwortungsanspruch für das Gesamtunternehmen, dessen Gesellschafter und für die überwiegend langjährigen Mitarbeiter. Dass man dafür auch neue Wege gehen muss, hat sie gemeinsam mit ihrem Mann Richard Lemke schnell entschieden. Erste Projekte sind bereits angestoßen und werden umgesetzt.
Richard Lemke, der mit 15 Jahren erste unternehmerische Schritte wagte, ist selbst aktiver Unternehmer mit einer Holding, die sechs Start-ups in der Digitalbranche vereint. Aufgewachsen im Oldenburger Land in einer seit Generationen juristisch geprägten Familie, hatte Richard Lemke eine Ringofenziegelei als Kind kennengelernt. In Erwartung einer handwerklich geprägten Produktion war er beim ersten Besuch in Bonenburg vollkommen überrascht von der industriellen Ausrichtung der Herstellung von Hintermauerziegeln und Betonfertigteilen bei Lücking. Umso mehr reizt es ihn nun, die Herausforderung für die digitale Zukunft des Unternehmens aktiv mit seinem Background und Netzwerk mitzugestalten.
Er sieht eine spannende Perspektive für das Unternehmen, denn die Baustoffbranche befindet sich im Umbruch und wird mit neuen Anforderungen konfrontiert. Dazu gehört auch das zunehmende Klimabewusstsein der Bevölkerung. Umwelt und Klimaschutz stehen seit Jahren im Fokus von Lücking. 2019 wurde mit einem Investitionsvolumen von 1,5 Mio. € die Abgasreinigung mittels einer RNV von E.I.Tec. mit einem Wärmetauscher und einem Abhitzekessel zur Heißdampferzeugung neu konzeptioniert. Für Lemke war es durchaus überraschend, wie investitionsintensiv eine Ziegelei ist, um den Stand der Technik abbilden zu können – verglichen mit der Digitalbranche, aus der er kommt. Hier wird ein Produkt, beispielsweise eine Software, einmal entwickelt und kann dann per Mausklick x-fach verkauft werden. Aber auch der aufwendige Ziegelherstellungsprozess mit seinen energieintensiven Kosten im Verhältnis zu den Stück-erlösen erstaunt Lemke.
Da Lücking sowohl im Bereich Ziegel als auch im Bereich Beton tätig ist, hat man hier den direkten Vergleich zwischen beiden Baustoffen, erläutert Theresa Lemke und betont, dass die Unterschiede in der Herstellung der Produkte erheblich sind, bei nahezu gleichen Erlösen. Für die jungen Geschäftsführer bedeutet eine Optimierung der Prozesse und eine effektivere Datenerfassung und -nutzung eine Möglichkeit, Kosten einzusparen.
Im Vergleich zur IT-Welt agiert die Baustoffbranche oft in sehr langen Zeiträumen. Richard Lemke: „Wer bei IT nicht schnell genug entwickelt und entscheidet, der ist raus!“ In der Ziegelindustrie dauern Entscheidungen oft viel länger, Genehmigungen oder auch baurechtliche Zulassungen ziehen sich zum Teil über Jahre hin, sodass Entscheidungen getroffen werden, ohne ihre Auswirkungen gänzlich abschätzen zu können.
Abwarten, wie es mit der Digitalisierung in der Ziegelbranche weitergeht, wollen die jungen Unternehmer bei Lücking nicht.
2 Digitalisierung im Ziegelwerk
Das Thema Digitalisierung zieht sich wie ein roter Faden durch verschiedene Bereiche im Unternehmen. Richard Lemke definiert Schwerpunkte, an denen zum Teil gleichzeitig gearbeitet wird. Dazu gehören die Einführung eines neuen ERP-Systems, die Vernetzung der Produktion, Building Information Modelling (BIM) und die Entwicklung einer Serviceplattform.
> ERP-Schnittstellen optimieren
Die Einführung eines neuen Warenwirtschaftssystems war eine der wichtigsten Herausforderungen nach der Übernahme der Geschäftsleitung. Der Einsatz solcher Systeme ist seit vielen Jahren Standard, jedoch haben sich die technischen Möglichkeiten verändert. Wenn früher häufig nur Rechnungswesen oder Einkauf über ERP-Systeme abgewickelt wurden, sind heute alle betriebswirtschaftlichen Geschäftsprozesse abbildbar und Grundlage der Datenbasis für weitreichende Analysen.
Als IT-Spezialist entschied sich Richard Lemke, auf Basis einer Standardsoftware eine Spezialanwendung für Ziegeleien im eigenen Haus zu entwickeln. Dazu wurden zwei neue Mitarbeiter eingestellt. Sobald das neue System vollständig eingeführt ist, geplant ist das für Anfang 2020, dient es als Grundlage für weitere Optimierungen.
Ziel der Investitionen ist es, auf Basis der gewonnenen Daten fundierte Entscheidungen zu treffen sowie die Kommunikation zum Handel deutlich zu vereinfachen. Derzeit kommt es durchaus noch vor, dass ein Bauunternehmer per Fax bestellt. Von der Digitalisierung und Optimierung dieses Bestellprozesses verspricht man sich viel. Dazu gehört auch, falsche Lieferungen zu vermeiden und die Kommunikation über das Telefon zu reduzieren.
> Vernetzung der Produktion
Gerade in Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels sei es wichtig, nicht nur auf die Erfahrungen langjähriger Mitarbeiter zu bauen. Die Erstellung eines digitalen Zwillings der Produktion hilft dabei, auch bei Maschinen und Anlagen verschiedener Hersteller den Überblick zu bewahren. Durch die Verknüpfung der Anlagen wird der Gesamtprozess in einem Tool abgebildet. Als Ergebnis erwartet man u. a. schnellere Reaktionszeiten bei Störungen, eine effektivere Wartung und Ersatzteilversorgung. Optimierungsansätze gibt es viele. Ein Beispiel dafür ist die Schwingungsmessung in den Anlagen der Aufbereitung. Hier können aus den digital erfassten Daten der Grad der Abnutzung und der Zeitpunkt für notwendige Wartungsarbeiten vorhergesagt werden.
Wie auch schon beim ERP-System, sei auch im Bereich Produktion das Thema Datensicherheit grundlegend. Deshalb müssen im ersten Schritt die technischen Standards geschaffen werden, um die Daten sicher übermitteln zu können.
> BIM
Das Thema BIM beschäftigt die gesamte Baubranche, von der Produktherstellung bis zu ihrer Verarbeitung. Wie man sich hier als Baustoffhersteller einbringt und gut positioniert, um Informationen digital an die Architekten und Bauunternehmen zu übermitteln, ist ein weiteres Projektthema.
> Serviceplattform
Unter der Fragestellung „Welchen Service kann ich den Kunden bieten, damit diese ihre Aufgaben auf der Baustelle noch effizienter verwirklichen können?“ werden laufend neue Ideen aufgegriffen und in Projekten bearbeitet. Beispielsweise wird ermittelt, welche Daten dem Architekten zur Verfügung gestellt werden können. Dazu gehört die Mengenermittlung der Ziegel für ein Projekt.
3 Als Ziegelindustrie gemeinsam stark sein
In Deutschland ist die Ziegelindustrie in weiten Teilen mittelständisch geprägt. Hier im Bereich Digitalisierung Schritt zu halten und die passenden Mitarbeiter im eigenen Unternehmen dafür zu beschäftigen, ist für viele kleinere Firmen eine Sache der Unmöglichkeit. Im Prinzip sind die Standards dieselben und alle haben mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Auf dem Markt erhältliche ERP-Softwarelösungen passen aber selten perfekt ins Ziegelwerk. Eine wirklich funktionierende Lösung muss anders aussehen, fand Richard Lemke. Also wurde selbst programmiert und die Bedürfnisse der eigenen Werke wurden als Grundlage der Entwicklung genommen.
Diese Software wird nun auch anderen Ziegelwerken angeboten, genutzt wird sie schon bei den Kollegen von „Mein Ziegelhaus“, auch andere Ziegelwerke können sie erwerben. Interessierte Ziegelwerke können so ein für die Branche geeignetes und optimiertes ERP-System erwerben und mit ihren Daten zum Leben erwecken. Die Datenhoheit liegt natürlich bei jedem einzelnen Ziegelwerk selbst, betont Lemke: „Wir entwickeln nur die Software!“
4 Die Vorfertigung im Bereich Ziegel wird kommen
Davon ist die Geschäftsführung überzeugt. Da man bei Lücking bereits lange Erfahrung in der Vorfertigung von Betonelementen hat und Seniorchef Jochen Thater den Bereich Ziegelfertigteile aus der Vergangenheit gut kennt, war es naheliegend, auch im Ziegelwerk diesen Weg zu gehen. „Die Ziegelelementfertigung ist nichts Neues“, betont Jochen Thater, „die gibt es schon seit 50 Jahren.“ Jetzt sei aber die Zeit reif dafür und die Chance für den Ziegel als Massenprodukt da, auch im Hinblick auf den Trend, dass höhere Geschossbauten mit Ziegeln realisiert werden.
Das Unternehmen hat deshalb in eine halbautomatische Anlage zur Herstellung von Ziegelelementen aus Lücking-Planziegeln investiert. Mithilfe des Halbautomaten kann eine Ziegelwand, inklusive der notwendigen Aussparungen für Fenster usw., in der Halle gefertigt und danach – wie die Betonfertigteile von Lücking auch – auf die Baustelle geliefert werden. So kann der Bauunternehmer mit weniger Personal in geringerer Zeit mehr Baustellen realisieren. Für den Mittelständler Lücking bedeutet die neue Ziegelelementanlage eine Erweiterung seiner Wertschöpfung. Durch das Zusammenspiel von Ziegelelement und Betonfertigteilen, wie Decken und Treppen, ist es möglich, ein Kompletthaus, das „Lücking Baupaket“, in geringer Zeit zu installieren.
Neben dem zunehmenden Fachkräftemangel bietet sich damit auch die Möglichkeit, wetterunabhängig zu fertigen. Nun gilt es erst einmal, Erfahrungen mit dem neuen System zu sammeln und die Bauunternehmer davon zu überzeugen. Gemeinsam mit den Bauunternehmern muss definiert werden, was sinnvoll und notwendig ist.
Lemkes sind sich einig: „Wir gehen davon aus, dass sich das modulare Bauen immer mehr durchsetzen wird.“ Vorfertigung macht Sinn, wenn alles Hand in Hand läuft, von der Planung über die Ziegel- und Elementproduktion bis zur Erstellung des Gebäudes. Bedeutend ist dabei auch, mit welchen Systemen die Architekten bzw. Bauunternehmer arbeiten. Bei Lücking hat man den Anspruch, ein System einzusetzen, das alle Daten verwenden kann. An einem solchen System wird bereits gearbeitet.
5 Fazit: nicht nur die Technik im Blick haben
Das junge Unternehmerpaar Theresa und Richard Lemke hat frischen Wind in das traditionsreiche Ziegelwerk gebracht. Sein Ziel ist es, den Ziegel als jahrtausendealten Baustoff ins digitale Zeitalter zu führen. Für beide steht nicht nur die Technik im Vordergrund, auch die Prozesse darum und die Schnittstellen müssen passen.
Anett Hümmer
www.luecking.de