Der Weg in die Klimaneutralität braucht Verlässlichkeit
Mit ihrer Roadmap hat die deutsche Ziegelindustrie die Weichen für klimaneutrale Prozesse und Produkte gestellt. Der Transformationsprozess ist gewaltig und verlangt den Herstellern viel ab. Zentrale Voraussetzung, damit dieser Kraftakt gelingt, sind verlässliche Rahmenbedingungen, die Innovationen fördern, Wettbewerbsfähigkeit sichern und nicht zuletzt die Zusammenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft stärken.
Im Jahr 2020 hat die Ziegelindustrie rund 1,7 Millionen Tonnen CO2 emittiert. Trotz dieses vergleichsweise geringen Anteils an den Gesamtemissionen in Deutschland (0,2 Prozent), zählt unsere Branche zu den energieintensiven Industrien und ist sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zur Reduzierung von CO2 bewusst. Bereits in den letzten 30 Jahren konnten wir einen aktiven Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten. Durch effizientere Prozesse, die vollständige Umstellung von Kohle auf Erdgas sowie neue Technologien hat die deutsche Ziegelindustrie ihren jährlichen Energieverbrauch von 10 TWh im Jahr 1990 auf aktuell 5,4 TWh nahezu halbiert und die Emissionen um etwa 40 Prozent reduziert. Die Hälfte der Strecke ist also geschafft, doch die mühsamsten Etappen liegen noch vor uns. Mit unserer Roadmap haben wir einen detaillierten Fahrplan publiziert, der den Weg in die Klimaneutralität bis 2050 aufzeigt. Kurze Zeit später wurden die Klimaziele seitens der Bundesregierung verschärft. Statt bis 2050 soll die Klimaneutralität nun bis 2045 erreicht werden.
Klimaneutralität als kostenintensiver Kraftakt
Durch eine Verdoppelung der jährlichen Klimaschutzinvestitionen könnte die Ziegelindustrie ihren CO2-Ausstoß bis 2030 aus eigener Kraft um 60 Prozent senken – das ist mehr als die von der EU geforderten 55 Prozent. Doch die letzte Meile auf dem Dekarbonisierungspfad erfordert die größten Anstrengungen. 60 Prozent des CO2-Ausstoßes entstehen durch die Verbrennung von Erdgas im Trockner-Ofen-Verbund. Hier liegt der zentrale Ansatz zur Reduktion brennstoffbedingter Emissionen. Trennen wir diesen Verbund, können die Öfen – mit ausreichender Vorlaufzeit – auf grünen Wasserstoff oder regenerativ erzeugten Strom umgestellt werden.
Doch noch ist unklar, ab wann und wo die Energieträger der Zukunft verfügbar sein werden. Diese Unsicherheit erschwert und verzögert Investitionsentscheidungen. Bei der Umstellung von Erdgas auf Strom müsste in komplett neue Anlagentechnik investiert werden. Die Kosten für einen neuen Tunnelofen, der rund 40 Jahre läuft, liegen bei 10 bis 15 Millionen Euro. Für Wasserstoff könnten wir unsere Anlagen mit deutlich geringeren Investitionen umrüsten. Völlig unklar ist bislang, wie sich klimaneutrale Brennstoffe auf die Produkteigenschaften der Ziegel auswirken. Hier ist noch Forschung nötig.
Weitere Einspareffekte lassen sich durch den Einsatz von Hochtemperaturwärmepumpen an den Trocknern, die komplette Elektrifizierung des weiteren Herstellungsprozesses sowie die sukzessive Erhöhung des Recyclinganteils in der Produktion erzielen. Größte Herausforderung für unsere Branche ist die Reduktion der prozessbedingten Emissionen, die rund 30 Prozent ausmachen. Sie entstehen durch den Kalkanteil im Rohstoff Ton sowie die zugesetzten Porosierungsstoffe. Ziegel sind regionale Produkte, das heißt die Werke stehen dort, wo sich die Tongruben befinden. Wenn man auf kalkfreien Ton umsteigen würde, müsste der Ton aus anderen Regionen zu den Werken transportiert werden, was zusätzliche Kosten und Emissionen verursacht.
Das Null-CO2-Szenario bedeutet für die Ziegelindustrie Gesamtinvestitionen von mehr als 2,3 Milliarden Euro. Eine Summe, die für unsere mittelständisch geprägte Branche ohne Fördermittel und Investitionshilfen nicht finanzierbar ist. Setzt man die Transformationskosten unserer Branche ins Verhältnis zu den finanziellen Möglichkeiten der Unternehmen, zeigt sich die Diskrepanz zwischen klimapolitischem Anspruch und unternehmerischer Wirklichkeit. Diesen Zielkonflikt müssen Politik und Wirtschaft gemeinsam lösen.
Energieversorgung und Wettbewerbsfähigkeit sichern
Selbst wenn wir alle Maßnahmen unserer Roadmap bereits bis 2045 umsetzen, können wir die Transformation nur zu einem gewissen Teil direkt beeinflussen. Einen wesentlichen Beitrag muss die Politik leisten. Unser auf Hochrechnungen basierter Energiemix im Zieljahr 2050 basiert auf 1,0 TWh grünem Wasserstoff, 1,4 TWh grünem Strom sowie weiteren 0,2 TWh biogenen Festbrennstoffen. Während Deutschland bei der Versorgung mit Wasserstoff noch ganz am Anfang steht und weder ausreichend Herstellungskapazitäten noch die nötige Energieinfrastruktur vorhält, konnten 2020 251,0 TWh an regenerativem Strom erzeugt werden. Dennoch ist auch hier ein massiver Ausbau notwendig, allein um die Anforderungen der gesamten industriellen Produktion annähernd zu decken.
Hinzu kommt, dass unsere Unternehmen in der Transformation doppelt belastet werden – durch steigende CO2-Kosten und nötige Investitionen in emissionsfreie Technologien. Diese finanzielle Mehrbelastung ist ein Risiko für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und kann nur durch externe Unterstützung abgefedert werden. Ein guter Weg sind z. B. Carbon Contracts for Difference, die die Differenz zwischen dem CO2-Preis und den CO2-Vermeidungskosten ausgleichen.
Ziegelindustrie nimmt Kurs auf die Kreislaufwirtschaft
Das Thema Kreislaufwirtschaft ist eine weitere Aufgabe, die unsere Branche in den nächsten Jahren zu bewältigen hat. Die Ausgangslage ist günstig, denn Mauer- und Dachziegel zählen zu den Baustoffen, die recyclebar sind. Bereits heute wird Ziegelbruch wiederverwertet – als Befestigungs- und Füllmaterial im Straßenbau, Zuschlagstoff für Beton, Bodenbelag für Sportplätze oder als Pflanzsubstrat. Durch aufwendige Forschungsvorhaben kommen wir dem erklärten Ziel, die wertvolle Materialressource Ziegel perspektivisch für den Bau neuer Gebäude einsetzen zu können, immer näher.
Sortenreiner Ziegelbruch kann problemlos in den Produktionsprozess zurückgeführt werden und bis zu 30 Prozent der benötigten Rohstoffe substituieren. Deutlich anspruchsvoller gestaltet sich die Wiederverwertung von nicht sortenreinen Ziegelabfällen aus dem Gebäudeabbruch. Neue Entwicklungen in der Trenn- und Sortiertechnik lassen die Prognose zu, dass diese Hürde bald genommen sein wird. Gemeinsam mit Abbruch- und Recyclingunternehmen arbeiten wir daran, eine bundesweite Recycling-Infrastruktur aufzubauen.
Ein weiterer Ansatzpunkt zur Schonung wertvoller Ressourcen ist die Verwertung von Baustellenaushub als Rohstoff für die Ziegelherstellung. Derzeit wird der Aushub häufig, auch wegen überbordender Bürokratie, zu hohen Kosten deponiert – das konterkariert die angestrebte Kreislaufwirtschaft. Dabei wäre ein Upcycling nach entsprechender Qualitätskontrolle leicht möglich. Voraussetzung ist, dass das Material regional in ausreichenden Mengen zur Verfügung steht und die keramisch-technische Eignung für die Ziegelherstellung aufweist.
Entscheidend für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft in der Ziegelindustrie sind entsprechende technische, umweltpolitische und nicht zuletzt ökonomische Rahmenbedingungen. So gibt es beim Einsatz von Recycling-Baustoffen immer noch Hindernisse, die durch die neue Bundesregierung endlich aus dem Weg geräumt werden müssen. Das fängt schon damit an, dass Recycling-Baustoffe zum Teil aus administrativer Sicht immer noch die gleichen Auflagen wie Abfall haben. Aufbereitete mineralische Ersatzbaustoffe aus Ziegel, die einer strengen Qualitätskontrolle unterliegen, sollten aus dem Abfallregime entlassen werden und mit anerkanntem Produktstatus als Recyclingbaustoff für eine Wiederverwertung zur Verfügung stehen. Konzepte wie Cradle2Cradle und Urban Mining werden mittelfristig nur mit einer entsprechenden regulatorischen Flexibilität umgesetzt werden können. Jahrelange Verhandlungen, wie bei der Mantelverordnung, kann sich Deutschland in Anbetracht der ambitionierten Klimaziele nicht mehr leisten.
Regionale Produkte sichern bezahlbaren Wohnraum
Nach unseren Berechnungen werden sich Ziegelprodukte allein durch die klimaneutrale Produktion um rund 40 Prozent verteuern. Das klingt zunächst viel, relativiert sich aber auf lange Sicht. Der aktuelle Preisanstieg einzelner Baumaterialien liegt vor allem in der Abhängigkeit der deutschen Bauwirtschaft von globalen Wertschöpfungsketten. Es lohnt sich also, verstärkt auf lokale mineralische Bauprodukte zu setzen. Rohstoffe wie Lehm und Ton stehen in ausreichender Menge zur Verfügung, auch wenn Genehmigungsverfahren für den Abbau neuer Rohstoffvorhaben immer langwieriger werden. Die deutsche Ziegelindustrie ist in der Lage, die Produktion sehr schnell hochzufahren und damit auf eine verstärkte Nachfrage zu reagieren. Es darf in Anbetracht der nach wie vor bestehenden Wohn- und Mietenkrise nicht sein, dass dringend benötigter Wohnraum nicht fertiggestellt werden kann, weil Baustoffe fehlen.
Der Satz „Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit“ ist mittlerweile in baupolitischen Debatten allgegenwärtig. Angesichts der Preissteigerungen bei Baumaterialien wie Holz, Stahl oder Dämmstoff ist dennoch zu befürchten, dass die bereits hohen Mieten weiter steigen werden. Bezahlbares Wohnen beginnt immer mit der Wirtschaftlichkeit der Bauweise. Hier bietet der massive Ziegelbau deutliche Vorteile: Laut einer Untersuchung der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE) liegen die Kosten pro Quadratmeter Außenwandfläche im Mehrfamilienhausbereich mit Ziegelmauerwerk rund 10 bis 20 Prozent unter denen anderer Wandbaustoffe. Der Preisvorteil von Ziegelmauerwerk resultiert aus der schnellen und einfachen Verarbeitung sowie der langen Lebensdauer von 100 Jahren und mehr.
Mit CO2-neutralen Prozessen und Produkten allein werden sich die Klimaziele im Gebäudebereich vermutlich nicht erreichen lassen. Da die Nutzungsphase der Treiber der CO2-Emissionen ist, müssen wir in Zukunft klimagerechter bauen. Extremsommer mit Tagestemperaturen von bis zu 40 Grad zeigen, dass der Klimawandel längst in Deutschland angekommen ist. Trotzdem gilt der winterliche Wärmeschutz noch immer als Maß aller Dinge. So steht bei der Bewertung der Energieeffizienz eines Gebäudes nach wie vor der Heizenergieverbrauch im Fokus. Um ihn möglichst niedrig zu halten, werden die Außenwände mit zusätzlicher Wärmedämmung versehen. Mit der Konsequenz, dass immer mehr energie-, kosten- und wartungsintensive Lüftungs- und Kühltechnik zum Einsatz kommen muss, um die Raumtemperaturen zu regulieren. Weltweit fließt bereits ein Zehntel des verbrauchten Stroms in Klimageräte und Lüfter. Laut Prognosen der internationalen Energieagentur wird sich dieser Wert bis 2050 verdreifachen. Wäre es nicht sinnvoller, an den Ursachen der Überhitzung anzusetzen, statt die Symptome zu lindern? Viele Architekten und Planer fordern ein Umdenken: weg von der Dämmung, hin zu mehr Speicherung. Dabei kommt den Materialeigenschaften von Baustoffen eine entscheidende Rolle zu. Kluge Klimaarchitektur basiert auf robusten Bauweisen und nicht auf komplexer Technik. Dank ihrer thermischen Speichermasse sind Ziegel in der Lage, Hitze im Sommer abzupuffern und Wärme im Winter länger im Gebäude zu halten. Dadurch gleicht massives Ziegelmauerwerk Temperaturspitzen auf natürliche Weise aus.
Dach- und Mauerziegel sind favorisierte Baustoffe im Wohnungsbau. Und das aus gutem Grund – der Ziegel verbindet Nachhaltigkeit mit hoher Wirtschaftlichkeit. Um die zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen zu lösen, müssen Politik und Wirtschaft Hand in Hand arbeiten, das gilt für die Umstellung der Energieinfrastruktur, für eine effektive Kreislaufwirtschaft, für die Rohstoffsicherung und alles in Kombination mit der Erhaltung unseres Wohlstandes. Die Politik hat die Klimaziele angehoben, die Industrie hat Fahrpläne zur Umsetzung vorgelegt. Nun ist es an der Zeit, gemeinsam an realistischen Lösungen zu arbeiten. Die Ziegelindustrie steht als verlässlicher Partner bereit, um einen aktiven Beitrag zur Schaffung von bezahlbarem und nachhaltigem Wohnraum zu leisten.
(Text: Dr. Matthias Frederichs, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Ziegelindustrie)