24.06.2010 News: Changemanagement im Mittelstand

„Darum soll sich der Müller kümmern.“ Gemäß dieser Maxime werden in mittelständischen Unternehmen oft Projekte gestartet. Das heißt, ganz unverhofft geraten Führungskräfte in die Situation, dass sie Projekte managen müssen, deren Auswirkungen auf die Gesamtorganisation sie nur bedingt einschätzen können. Entsprechend groß ist die Gefahr, dass sie sich „die Finger verbrennen“ – sofern sie sich nicht die nötige Unterstützung organisieren.


„Was habe ich mir da aufgehalst.“ Das denken Führungskräfte in mittelständischen Unternehmen oft, wenn sie in einer ruhigen Stunde über eine Aufgabe nachdenken, die ihnen von der Firmenleitung übertragen wurde. Denn häufig wird ihnen erst nach einiger Zeit bewusst, dass es sich bei der Aufgabe faktisch um ein Projekt handelt – ein komplexes Projekt zudem, weil heute die meisten Betriebe so strukturiert sind, dass (fast) alles mit allem verbunden ist.

 

Ein Beispiel. Angenommen die Leitung eines Unternehmens erkennt: Wir haben ein Problem mit der Kundenbetreuung und dies schlägt sich in unserem Auftragseingang nieder. Dann finden zu diesem Thema in der Regel zunächst mehrere Meetings auf der Top-Ebene statt, bevor schließlich beispielsweise die Entscheidung fällt „Lasst uns ein neues CRM-System einführen“. Und wem erteilt die Firmenleitung den Auftrag, sich hierum zu kümmern? Zum Beispiel dem IT- oder Vertriebsleiter. Für die Geschäftsleitung ist das Thema damit zumindest vorläufig erledigt. Denn auf ihrer Agenda stehen noch viele andere Themen.

 

 

Komplexität von Projekten wird oft unterschätzt

 

Und IT-Leiter Mayer oder Vertriebsleiter Müller? Er hat plötzlich, salopp formuliert, neben seiner Alltagsarbeit ein Projekt an der Backe, dessen Implikationen er zum Zeitpunkt der Auftragserteilung noch gar nicht abschätzen kann. Doch dann macht er sich in einer ruhigen Stunde hin erste Gedanken über das Projekt. Er spricht zudem mit einigen Anbietern von CRM-Systemen; des Weiteren eventuell mit ein, zwei Berufkollegen, die in anderen Unternehmen bereits ähnliche Projekte durchführt haben. Und zunehmend wird ihm klar: Diese Aufgabe wird, wenn wir sie professionell anpacken möchten, ein Riesenprojekt. Denn wenn wir ein neues CRM-System einführen, sind davon außer dem Vertrieb, auch alle anderen Bereiche betroffen. Zudem beschränkt sich das Einführen des Systems nicht darauf, dass wir die Software in unsere IT integrieren. Vielmehr müssen wir auch viele Arbeitsprozesse und -abläufe neu definieren. Und für die Mitarbeiter? Für sie ändern sich teilweise die Arbeitsbeziehungen und -inhalte. Deshalb wird das Projekt nicht bei allen Mitarbeitern auf Zuspruch stoßen.

 

Und auch deren Vorgesetzte, die Abteilungsleiter, deren Unterstützung ich brauche, werden nicht laut hurra schreien, wenn ich bei ihnen vorstellig werde. Im Gegenteil, einige werden zumindest innerlich murren. Denn auch auf sie kommt durch das Projekt Mehrarbeit zu. Außerdem werden sie beziehungsweise ihre Bereiche aufgrund der mit der Einführung des Systems verbundenen stärkeren Vernetzung einen Teil ihrer Autarkie verlieren. Auch dies wird einigen nicht schmecken.

 

Kurz, erst allmählich wird dem Changeleader, also dem Abteilungs- oder Bereichsleiter, der mit dem Projekt beauftragt wurde, klar, wie viele Aspekte mit Projekt verbunden sind; des Weiteren, dass er bei dem Projekt nicht automatisch mit Unterstützung seitens aller Betroffenen rechnen kann. Im Gegenteil! Vermutlich werden sogar einige versuchen, das Projekt zu boykottieren.

 

 

Change-Profis in der Organisation fehlen

 

Solche Prozesse beobachtet man immer wieder in mittelständischen Unternehmen. Vor allem aus folgendem Grund: Anders als in Großunternehmen gibt es ihnen meist keine Stabsabteilungen, die die Entwicklung des Unternehmens und die damit verbundenen Innovations- sowie Changeprojekte und -prozesse von langer Hand planen. Vielmehr wird in ihnen meist relativ ad hoc entschieden: Wir machen das! Anders als in Konzernen gibt es in ihnen zudem zumeist keine professionellen Organisationsentwickler, die sich tagein, tagaus mit Changeprojekten befassen und deshalb wissen, wo bei ihnen die Fallstricke liegen. In mittelständischen Betrieben werden vielmehr – auch mangels Alternative – solche Projekte meist den Leitern von Fachabteilungen übertragen, die in erster Linie Spezialisten in ihrem Fachgebiet sind. Sie sollen die Aufgabe zusätzlich zu ihrer Alltagsarbeit erledigen. Entsprechend schnell schlägt bei ihnen das „Gefordert-sein“ in ein „Überfordert-sein“ um – sofern sie keine professionelle Unterstützung von außen erfahren.

 

Wie eine solche Unterstützung aussehen kann, sei erneut anhand eines Beispiels beschrieben. Nehmen wir an, die Geschäftsleitung eines Unternehmens erteilt dessen Vertriebsleiter den Auftrag, ein CRM-System einzuführen. Und dabei ist ihr selbst noch nicht bewusst, dass es hierbei um ein Projekt handelt, das auch kulturverändernde Elemente hat. Des Weiteren: Auch dem Changeleader, also dem Projektbeauftragten, wird dies erst allmählich klar. Dann sollte dieser, sobald ihm dies bewusst wird, einen externen Spezialisten oder Coach kontaktieren, der Erfahrung mit dem Managen von solchen Projekten hat, um mit ihm unter anderem zu analysieren:

> Vor welche Herausforderungen stellt das Projekt die Organisation?

> Was sind die Erfolgsfaktoren dieses Veränderungsprozesses?

> Wer ist von der Veränderung betroffen?

> Mit welchen Schwierigkeiten, aus denen Probleme erwachsen könnten, muss ich rechnen? Und:

> Welche Unterstützung benötige ich, damit ich dieses Projekt zum Erfolg führen kann?

 

 

Firmenleitung als aktiven Unterstützer gewinnen

 

Aus folgendem Grund: Projekte, die auch auf eine Kulturveränderung in einem Unternehmen abzielen, lassen sich in der Regel nicht von einem Teilbereich in ihm heraus, initiieren – nicht nur, weil sie auch bei den Mitarbeitern anderer Bereiche eine Einstellungs- und Verhaltensänderung erfordern. Hinzu kommt: Bei jedem Changeprojekt gibt es nicht nur Menschen, sondern meist auch Bereiche, die sich als Verlierer der Veränderung empfinden. Sei es weil dadurch Mehrarbeit auf sie zukommt. Oder weil sie hierdurch gewisse „Privilegien“ verlieren. Oder weil sei dadurch leichter kontrollierbar werden. Oder weil .... Deshalb ist zumindest verdeckter Widerstand programmiert – außer die Unternehmensführung signalisiert allen Betroffenen klipp und klar:

> Wir stehen hinter dem Projekt.

> Die Entscheidungen werden von uns mitgetragen. Und im Bedarfsfall:

> Wer querschießt, der hat mit Sanktionen von uns zu rechnen.

 

Entsprechend wichtig ist es in einer Situation wie der geschilderten, dass der Changeleader für sich zunächst eine Strategie entwickelt, wie er die Unternehmensführung als aktive Unterstützer gewinnt. Das heißt, er muss sich überlegen: Wie kann ich der Firmenleitung vermitteln, dass

das Projekt aus den Gründen A, B und C schwieriger beziehungsweise komplexer ist als zunächst gedacht und das Projekt von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist, wenn keine aktive Unterstützung seitens der Unternehmensleitung erfolgt?

 

Der Changemanager muss also das Gespräch mit der Unternehmensleitung suchen. Und in diesem Gespräch muss er dieser auch darlegen, welche konkrete Unterstützung er braucht. Zum Beispiel, dass die Unternehmensleitung der gesamten Belegschaft erklärt: „Wir müssen ein CRM-System einführen, weil .... Daran führt kein Weg vorbei, sonst .... Deshalb erwarten wir von Ihnen eine aktive Mitarbeit in dem Projekt.“ Oder dass ihm als Changeleader ein externer Experte in Sachen Changemanagement als Coach oder Ratgeber zur Seite gestellt wird, der ihn beim Planen des Vorgehens sowie beim Initiieren und Steuern den Maßnahmen berät.

 

Um die gewünschte Unterstützung von der Unternehmensleitung zu erlangen, benötigt der Changeleader neben einer überzeugenden Argumentation auch bereits eine Art Rohkonzept, wie der Changeprozess gestaltet sein könnte. Sonst wird seine Bitte, um Unterstützung von der Unternehmensleitung schnell als „unbegründetes Klagen“ erlebt und nicht als Initiative, um das Projekt zum Erfolg zu führen. Also sollte der Changeleader auch ein solches Rohkonzept, in seinem ersten Treffen mit dem externen Berater sowie potenziellen Coach erarbeiten.

 

 

Fachliche und mentale Unterstützung nötig

 

Wurde dem Changeleader die erforderliche Unterstützung seitens der Unternehmensleitung gewährt, kann er mit dem Coach mit dem Ausarbeiten der eigentlichen Projektarchitektur beginnen – das heißt, nun beginnt die konkrete Maßnahmenplanung. Kernfragen hierbei sind: Wie können wir den Mitarbeitern vermitteln, dass das Projekt nötig ist? Und: Welche Personen müssen wir außer der Unternehmensleitung auf alle Fälle als Mitstreiter gewinnen, damit das Projekt nicht auf tönernen Füssen steht? Ist dies klar, können die ersten Projektmaßnahmen geplant und gestartet werden.

 

Auch bei der Projektdurchführung benötigen unerfahrene Changeleader in der Regel Unterstützung – fachlich und mental. Denn als Nicht-Profis in Sachen Changemanagement ist ihnen oft nicht ausreichend bewusst, wie lange es in der Regel dauert bis Menschen eine Einstellungs- und Verhaltensänderung vollziehen. Entsprechend viel Geduld und Ausdauer ist gefragt, wenn zum Beispiel ganze Mitarbeitergruppen entsprechende Veränderungsprozesse vollziehen sollen. Unklar ist ihnen meist auch, wie sie zum Beispiel reagieren sollen, wenn Personen, die für den Erfolg des Projekts relevant sind, verdeckt oder offen die erforderliche Unterstützung verweigern. Entsprechend wichtig ist es, dass der Changeleader sich regelmäßig (zum Beispiel jeden Monat einen Tag) mit dem externen Berater trifft, um mit ihm zu analysieren:

> Wie ist der Stand des Projekts?

> Welche unvorhergesehenen Schwierigkeiten tauchten auf? Und:

> Was sollten wir tun, um das Ziel trotzdem zu erreichen?

Wichtig ist es aber auch, dass der Changeleader und der externe Berater gemeinsam analysieren: Was wurde zwischenzeitlich bereits erreicht? Denn gerade weil sich kulturelle Changeprozesse in der Regel eher langsam, schleichend vollziehen, überkommt die Beteiligten inklusive Unternehmensleitung häufig das Gefühl „Da bewegt sich ja gar nichts“, selbst wenn das Projekt sich in der Erfolgsspur befindet. Entsprechend wichtig ist es, sich im Verlauf des Prozesses auch die bereits erzielten Teilerfolge vor Augen zu führen, um nicht zu verzagen.

 

 

Change-Kompetenz der Organisation erhöhen

 

Der externe Berater sollte dem Changeleader aber auch im Alltag zum Beispiel telefonisch mit Rat und Tat zur Seite stehen. Denn in Changemanagementprojekten ergeben sich immer wieder Situationen, in denen der Projektverantwortliche schnell reagieren muss. Zum Beispiel, wenn er registriert: Eine Schlüsselperson in der Organisation torpediert das Projekt. Oder wenn er bemerkt, aufgrund der Umstrukturierung werden die Kunden nicht mehr wie gewünscht betreut. Dann benötigt der Changeleader oft nicht nur einen geistigen Sparringspartner, sondern auch Tippgeber, der ihm sagt, was zu tun sinnvoll wäre – um seine Handlungsfähigkeit und -sicherheit zu bewahren.

 

Bei seiner Arbeit sollte der externe Unterstützer jedoch stets zwei Ziele vor Augen haben. Das oberste Ziel ist und bleibt, das aktuelle Projekt des Kunden zum Erfolg zu führen. Ein weiteres Ziel sollte aber sein, bei den Projektverantwortlichen in der Organisation die Kompetenz aufzubauen, die für das Planen, Managen und Steuern von Changeprojekten nötig ist, so dass sie Folgeprojekte auch alleine betreuen können – ohne Unterstützung durch einen externen Coach.

Stefan Bald

 

Zum Autor: Stefan Bald ist Geschäftsführer sowie Leiter des Chagemanagement-Instituts der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (Tel. 07251/989034; Mail: stefan.bald@kraus-und-partner.de; Internet: www.kraus-und-partner.de). Er ist zudem Lehrbeauftragter an der pädagogischen Hochschule Freiburg und Dozent an der St. Gallener Business S

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