Renate Nöller

Die Ziegelfabrik Heisterholz -
Beitrag zu ihrem 150-jährigen Bestehen

Die Ziegelei Schütte AG Heisterholz war einer der bedeutendsten Ziegelhersteller in Nordwestdeutschland zu Beginn des 20 Jahrhunderts. Das Unternehmen prägte die Region und die Menschen, besonders im Mindener Raum, bis heute. Davon zeugen u. a. Häuser und Straßennamen. Die Produkte, Ziegel, fanden in Bauwerken im gesamten norddeutschen Raum Verwendung. Schließlich prägte es auch die Familie des Unternehmers Ferdinand Schütte. Der hatte vor 150 Jahren den Grundstein für die Ziegelfabrik Heisterholz gelegt. Dieser Geschichte spürt Renate Nöller, Ururenkelin des Gründers, im folgenden Artikel nach.

Der kleine Ort Heisterholz liegt bei Petershagen unweit von Minden direkt an der Weser. In marinen Sedimenten der mittleren Unterkreide stehen hier mehrere Meter dicke Tonschichten an, die von härteren Toneisensteinen durchzogen sind. Etwa drei Kilometer südlich von Petershagen befand sich die erste Tongrube der Ziegelei Heisterholz.

Einzelne Ziegler, die sich die Vorkommen zu Nutze machten, sind im Jahr 1724 erwähnt. Nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) erfolgte unter Friedrich dem Großen eine Ansiedlung zur regionalen Förderung von Gewerbe. Hergestellt wurden grobkeramische Ware und in Schalen geformte Ziegelsteine.

Kommt man heute von Minden aus nach Heisterholz, so wird man von Wegweisern eines Industriestandorts zu der Ziegelfabrik geleitet. Ein riesiges Areal mit großen Hallen überragt einzelne, ältere rote Backsteingebäude. Am westlichen Rand wird ein desolates Haus sichtbar (» Abb. 1). Eine ehemalige Veranda führt zu einem parkähnlich angelegten Garten mit altem Baumbestand und einem Teich. Die Reste eines Springbrunnens, das eiserne Gestell einer Schaukel und ein in chinesischem Stil errichtetes Teehaus, verziert mit wunderschönen Holzschnitzereien und filigranem verrostetem Geländer, weisen auf vergangene Zeiten hin. Es ist das ursprünglich dem Besitzer der Tonwarenfabrik Heisterholz zur Verfügung stehende Wohnhaus.

Gründung der Dampfziegelei Heisterholz

Im Jahr 1873, zum Ende der Gründerjahre im Deutschen Kaiserreich, erwarb der von einer ortsansässigen Zimmermannsfamilie abstammende Holzhändler Ferdinand Schütte zusammen mit dem Maurermeister Theodor Wiese die 1858 von den Brüdern Wilhelm und Friedrich Rümke an den Tongruben der Weser in Heisterholz gegründete und 1866 in den Besitz des Landwirts Christian Barner übergegangene Handstrichziegelei (» Abb. 2).

Es ist das Zeitalter der Industrialisierung, die Landbevölkerung zog zum Arbeiten in die Städte, der Bedarf an Wohnraum stieg, und die zum Bau benötigten Steine wurden knapp. Zur Herstellung größerer Mengen an Steinen wurde die Ziegelei bald in eine hochmoderne Fabrik mit Dampfbetrieb umgerüstet und bekam den Namen „Schütte & Wiese, Dampfziegelei und Thonwarenfabrik, Heisterholz“. Der erste, 37 Meter hohe Schornstein wurde errichtet.

Die zahlreichen Bauvorhaben Preußens ließen die Nachfrage nach Ziegelsteinen und Dachplatten erheblich steigern. In Reaktion wurde die Produktion ausgeweitet und die Fabrik enorm vergrößert. Die lippischen und ostwestfälischen Wanderarbeiter, die in der Ziegelei beschäftigt wurden, siedelten sich zunehmend in der Gegend an. Auf dem Betriebsgelände konnten sie eine Werkwohnung in einer für damalige Verhältnisse vorbildlichen Arbeiterkolonie beziehen. Es gab einen warmen Aufenthaltsraum und einen Waschraum. Mit Ausnahme gesetzlicher Festtage wurde täglich bis zu 16 Stunden gearbeitet. Die Lohnzahlung erfolgte alle 14 Tage sonnabends in bar. Infolge der durch Bismarck erlassenen Sozialgesetze wurde am 18.11.1884 eine eigene Betriebskrankenkasse gegründet, in der alle Arbeiter, die keiner anerkannten Krankenkasse angehören, versichert wurden. Bei einem 25-jährigen Dienst-Jubiläum wurden Angestellte mit einem Gedenkblatt und einer Erinnerungsmünze des Verbandes Deutscher Tonindustrieller sowie einem Sparbuch und einem Ruhesessel geehrt. Mit Einführung des Zwölfstunden-Tages im Jahr 1906 war die Arbeitszeit von 6 bis 19 Uhr mit einer einstündigen Mittagspause festgelegt. Ein Arbeiterwohlfahrtsgebäude mit Speisesaal, Schränken, Heizung, Bade- und Duschmöglichkeit wurde errichtet, 1912 kam ein betriebseigener Gutshof mit 330 Morgen (ca. 82 Hektar) Land und Wirtschaftsgebäuden hinzu. Der Anbau von eigenem Obst und Gemüse sicherte die Versorgung der Saisonarbeiter im Winter, so dass sie das ganze Jahr bleiben konnten. Auch förderte Schütte den Bau von Eigenheimen mit Gärten. 1913 war die Siedlung bereits auf 32 Häuser angewachsen und erhielt ein eigenes Wasserwerk.

Die Familie von Ferdinand Schütte lebte standesgemäß. Die Kinder erhielten eine gutbürgerliche, christlich-humanistische Erziehung. Martha kam am 1. April 1874 in die Töchterschule in Minden. Zu ihrer Verlobung mit dem königlichen Landrat Theodor Parisius und zu der von Louise mit dem Arzt Dr. Otto Sonnenburg fand im Mai 1890 ein großes Fest in Heisterholz statt. Auch Marthas Hochzeit wurde hier gefeiert. Ihre 1891 in einem Buch belegte Aussteuer war üppig. Sie lebten kurz in Zabrze/ Oberschlesien, wo ihr einziges, nach der Mutter benanntes Kind Martha (3.9.1892-3.9.1964) geboren wird. Kaum drei Monate später starb Theodor und die junge Witwe kehrte in ihr Elternhaus zurück (» Abb. 3).

Auf der Bahn des Erfolgs

Im selben Jahr, im April 1892 stieg der Geschäftspartner Theodor Wiese aus dem Unternehmen aus, so dass der Betrieb als „Dampfziegelei Heisterholz F. Schütte“ in den alleinigen Besitz der Familie Schütte überging. Ferdinand Schütte war ein angesehener Industrieller und Fabrikbesitzer in der Gegend. Als sein Bruder Hugo, der als Prokurist in der Ziegelei tätig war, starb, kondolierten der Bürgermeister und das Stadtverordneten-Collegium von Petershagen in einem Schreiben vom 20. Mai 1896.

Der Vertrieb der Ziegel erfolgte auf der Weser bis Bremen und weiter nach Schleswig-Holstein. Über die Weser gelangte auch die zur Feuerung benötigte Kohle nach Heisterholz. Zu Lande wurden Pferdefuhrwerke eingesetzt, bis 1898 die Kreisbahn Minden-Uchte mit einem großen Festakt eingeweiht wurde. Der Bau einer Verladestation ein Jahr später an der Strecke zu Werk I erlaubte den Versand über die Schiene. Dies erleichterte den Transport über Land erheblich. Der Versand war schneller und im Vergleich zu der Fahrt über die holprigen Straßen zerbrach weniger Ware.

Im Jahr 1898 feierte auch die Ziegelei ihr 25-jähriges Bestehen mit Tannenschmuck. Der Betrieb blühte. Statt mit der Hand wurden die Steine nun nach modernster Technik mit Ziegelpressen in Form gebracht und es wurden Ringöfen eingeführt. Die Kinder durften sie als erste entfachen. Die heiße Abluft wurde zum Trocknen der Ziegel genutzt, so dass die Steine im Winter nicht durch Frost gesprengt wurden und eine ganzjährige Produktion möglich war. Sämtliche Mauersteine und Dachziegel für die Häuser der Gegend wurden in Heisterholz angefertigt.

Spuren des Erfolgs

Der wirtschaftliche Erfolg der Produktion führte zu überregionalen Aufträgen, auch für Sonderanfertigungen (» Abb. 4). So stammten die Ziegelsteine des Bahnhofs Oberhausen, des Hamburger Elektrizitätswerks, die Figuren am Braunschweiger Henrietten-Stift oder auch der Mosaikfußboden der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin aus Heisterholz. 1889 besuchte das deutsche Kaiserpaar Minden, um einem Armeemanöver beizuwohnen. Bei dessen Empfang waren Ferdinand und sein Bruder Max Schütte als Stadtverordneten-Vorsteher von Minden anwesend. Ferdinand unterbreitete dem Kaiser sein Anliegen, einen Kanal zum Ruhrgebiet zu errichten. Besonderes Interesse zeigt der Kaiser bei dem Hinweis, dass der Kanal auch für den zunehmenden Bau von Kasernen von Vorteil sei.  

Auszeichnungen erhielt Ferdinand für seinen selbstlosen und langjährigen Einsatz bei der Freiwilligen Feuerwehr. Da infolge der Feuerungsanlage der Ziegelei auf dem Betriebsgelände öfter große Brände vorkamen, war er seit 1873 Mitglied des Minden-Ravensberg-Lippischen Feuerwehrverbandes. Der verlieh ihm am 3.7.1898 zum 25-jährigen Jubiläum ein Dienstdiplom. Am 12.9.1889 wurde ihm der Kronen-Orden 4. Klasse verliehen, am 15.2.1909 `Auf Befehl seiner Majestät des Königs´ der Rote Adlerorden vierter Klasse.

Das Löschwasser konnte ab 1913 dem 23 Meter hohen Turm des für die Arbeitersiedlung gebauten Wasserwerks entnommen werden (» Abb. 5). Dieser weist eine besondere 12-eckige „Laternendach“-Konstruktion mit glasierten Dachziegeln auf, an deren Ecken jeweils steinerne Löwen- und Wolfsköpfe sitzen. Im Winter wurde der Turm auf offener Feuerstelle mit Koks beheizt, so dass das unter Druck hochgepumpte Wasser im Tank nicht einfror.

Für seine verwitwete Tochter Martha traf Ferdinand die Entscheidung, dass sie ihre nach dem Tod ihrer Schwester Louise und ihres Mannes verwaisten Nichten Anneliese und Paula großziehen sollte. Hierzu erhielt sie neben der notwendigen finanziellen Unterstützung am 2.5.1905 eine Villa in Minden in der Wilhelmstraße 1. Die Kinder wurden privat unterrichtet. Auch verreiste Martha gerne mit ihrer Tochter und verkehrte in mondänen Hotels mit illustren Gästen.

Dem Sohn Fritz, der bereits 1896 im Alter von 22 Jahren Nachfolger des Prokuristen Hugo Schütte und 1899 Teilhaber der Ziegelei geworden war, wurde 1905 die Leitung übertragen. Er heiratete und hatte vier Kinder: Hans (1907-1975), Fritz (1911-1973), Katharina (1915-1985) und Ferdinand (1917). Er erhielt auch die Vollmacht für das am 10.2.1911 von Ferdinand und Pauline verfasste Testament, in dem alle Kinder zu gleichen Teilen erbten. Den Erbanteil von der verstorbenen Louise erhielten deren Kinder Anneliese und Paula.

Weiteres Wachstum

Die Ziegelei war um die Jahrhundertwende enorm gewachsen (» Abb. 6) und der drittgrößte Arbeitgeber im Kreis Minden. Eine eigene Betriebsfähre sorgte für den schnellen Zugang zum Werksgelände. 1910 wurde Werk II, ein Klinkerwerk, errichtet. Das Werksgelände, auf dem inzwischen fünf Schornsteine, zwei neue Öfen, sieben Trockenschuppen und ein großes Lagerhaus standen, hatte sich in seiner Fläche verdoppelt (» Abb. 7, » Abb. 8).

1912 entstand ein weiteres Werk, Werk III, in Holtrop mit eigenem Schiffsanleger. Produziert wurden jährlich 10 Millionen Dachziegel und 5 Millionen Mauerziegel. Hinzu kam ein Gleisbau als Anschluss zur Eisenbahntrasse Minden-Köln. Die Zahl der Arbeiter wuchs 1914 auf 400 Beschäftigte, der Besitzer Ferdinand Schütte zählte zu den reichsten Bürgern von Minden.

Die Stadt entwickelte sich zu einem bedeutenden Wirtschaftsstandort. Zwischen dem 6.6. und dem 6.9.1914 fand dort eine Gewerbe-, Industrie- und Kunstausstellung statt. Die Ziegelei präsentierte hierzu in einem achteckigen, mit Ziegeln in verschiedenen Mustern und bunten Dachziegeln konstruierten Pavillon (» Abb. 9) Fotos von bekannten, mit Heisterholzer Ziegeln errichteten Bauwerken. Als bedeutendstes Ziegelwerk Nordwestdeutschlands wurde die Ziegelei mit einer goldenen Denkmünze ausgezeichnet.

Minden war zu der Zeit eine Garnisonstadt. Im dort stationierten Feldartillerieregiment 58 dienten Max Schütte und Hans Nöller (12.10.1880- 21.2.1958). Dieser kam in Kontakt mit der jungen Martha.  Als diese sich mit ihrer Mutter in St. Moritz in der Schweiz aufhält, suchte Hans sie auf und hielt um ihre Hand an. Im Oktober 1913 fand die Hochzeit statt. Sie bezogen eine Wohnung in der Blumenstraße 9 in Minden und erhielten zur Familiengründung eine üppige Aussteuer mit maßgefertigten Möbeln, feinstem Leinen, wertvollem Rosenthal Porzellan und Familiensilber mit eingraviertem N. Wenige Monate nach der Hochzeitsreise trennte der Ausbruch des Ersten Weltkrieges das junge Paar. Hans zog in den Krieg und kam in französische Gefangenschaft. 1918 trafen sich beide in Minden wieder.

Auch in den politischen Wirren des Ersten Weltkriegs führte die Familie Schütte ein sehr gutbürgerliches Leben. Ferdinand und Pauline wohnten in einer herrschaftlichen Stadtvilla in der Hahlerstr. 33 in Minden. Am 11.10.1914 feierten sie Goldene Hochzeit, zu der sie ein persönliches Gratulationsschreiben von der Stadt Minden erhielten.

Der erste Weltkrieg und die Inflationszeit

Die Familie engagierte sich auch für wohltätige Zwecke. Pauline folgte in den Jahren 1911 bis 1918 einem Spendenaufruf des Heimatdichters Peter Rosegger, in der Steiermark eine Waldschule aufzubauen. Die Familienmitglieder unterstützten Hindenburg und beteiligten sich am Umtausch von privatem Gold- gegen Eisenschmuck. So verkaufte Paulines Tochter Martha am 4. Juni 1916 und am 23. Juli 1916 Goldschmuck zur „Stärkung der Wehrkraft unseres Deutschen Vaterlandes“. Am 7. März 1917 spendete sie drei Viertel des Fleisches eines durch sie geschlachteten Schweins. Im Rahmen der moralischen Unterstützung der Truppen durch die Zivilbevölkerung, sogenannte „Liebesgaben“, nahm sie Kontakt zu einem deutschen Kriegsgefangenen in Japan auf.

Den großen Erfolg der von seinem Sohn Fritz geführten Ziegelei erlebte Ferdinand Schütte noch mit. Er starb am 2.1.1917. Im März und August 1917 wurden die Erben beim Amtsgericht Petershagen schriftlich als Gütergemeinschaft geführt.

Da auch während des ersten Weltkriegs die Produktionszahlen durch Aufträge zum Bau von Privathäusern, staatlichen Verwaltungs- und Schulgebäuden sowie Industrieanlagen enorm stiegen, hielt Fritz 1918 den Kauf einer weiteren Ziegelei, Werk IV in Dehme bei Bad Oeynhausen (Schütte AG Dehme `Werk Porta Westfalica´), für angemessen. Zehn Öfen produzierten nun circa 50 Millionen Steine pro Jahr. Der wirtschaftliche Erfolg sorgte für größeren Platz- und Repräsentationsbedarf. Der Firmensitz der Ziegelei wurde 1919 nach Minden in größere und bessere Räumlichkeiten in der Marienstraße 36 und später an den Marienwall 8 verlegt. Max Schütte (1878 - 1961), dem die Vertretung der Ziegelei oblag, hatte hier bereits 1903 das von seinem Vater, dem Zimmermeister Fritz Schütte (1857 - 1919), einem Bruder Ferdinands, seit 1875 geführte Büro eines Holzhandels mit Bautischlerei und Möbelfabrik übernommen. Er war bis 1906 als Bauunternehmer tätig und bis 1914 Mitglied des Stadtverordneten-Kollegiums und der Vollversammlung der früheren Handelskammer Minden. Im Vorstand der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsgenossenschaft förderte er den sozialen Wohnungsbau – wohl auch den der Ziegelei.

Um Investitionen in neue Werke tätigen zu können, nahm Fritz hohe Kredite auf Grundlage der hervorragenden Bilanzen der vergangenen Jahre auf. Jedoch waren die guten Tone der Lagerstätten in Heisterholz allmählich abgebaut. Der nun anstehende härtere Tonschiefer mit Pyrit-Einlagerungen erforderte ein neues Herstellungsverfahren für Ziegelsteine und Klinker. Hinzu kam, dass durch den Verlust der Oberschlesischen Bezugsquellen Kohlemangel herrschte, so dass die Befeuerung der Öfen auf Torf als Brennstoff umgerüstet werden musste. Trotz Anpassung der Produktionsbedingungen und der technisch sehr gut ausgerüsteten Ziegelei war es bald nicht mehr möglich, die für die neuen Werke aufgenommenen Kredite zu tilgen. Infolge der Inflation, die vor allem in den Nachkriegsjahren deutlich anstieg, kam es zu einem massiven Auftragseinbruch und die Bezahlung der Arbeiter, die nun täglich erfolgte, gestaltete sich zunehmend schwieriger. Schließlich sah Fritz keine andere Möglichkeit, als das Industrieunternehmen am 16.6.1922 in eine Aktiengesellschaft, die `Schütte AG für Tonindustrie´, umzuwandeln. Weiterhin kaisertreu wurde zu diesem Anlass eine Büste von Kaiser Wilhelm mit einer rückseitigen Signatur `Schütte AG´ hergestellt. Der größte Anteil der Aktien wurde unter den Geschwistern aufgeteilt und blieb so im Besitz der Familie.

Die mit den riesigen Werkanlagen (» Abb. 10) finanziell reichlich ausgestattete Familie wünschte sich nichts sehnlicher als das 1918 zu Ende gegangene Kaiserreich zurück. 1918 wurde Martha Nöllers erster Sohn, Ferdinands Urenkel, Hans-Georg, mein Vater, geboren. 1921 reiste Martha nach Zabrze/ Hindenburg in Oberschlesien, um an der Abstimmung über den Verbleib ihres Geburtsortes in Deutschland teilzunehmen. Im selben Jahr wurde ihr zweiter Sohn Friedrich geboren.

In dieser Zeit ging es der Familie materiell noch relativ gut. Ferien verbrachte die junge Familie Nöller zusammen mit den Großmüttern und einem Kindermädchen auf verschiedenen Nordseeinseln: 1923 auf Amrum, 1924 auf Helgoland und Sylt, 1926 auf Baltrum.

Die Güte der herstellbaren Ziegelsteine wurde 1925 in einem chemischen Labor in Berlin untersucht (» Abb. 11). Mit den als wenig porös, frostbeständig und wasserundurchlässig ausgezeichneten Steinen wurden in den 20er Jahren zahlreiche moderne Bauwerke wie das Hansahochhaus Köln (1925) (» Abb. 12) oder das Düsseldorfer Polizeipräsidium (1926) errichtet; die Vielfalt des Angebots wurde in Prospekten vorgestellt.

Der Niedergang und Verkauf

In Folge der Hyperinflation, die 1923 ihren Höhepunkt erreichte, konnte Fritz Schütte die Anteile als Hauptaktionär bald nicht mehr halten. Im Jahr 1926 stand das gutgehende Unternehmen vor dem Konkurs und musste verkauft werden. Das Geld hatte zwar wieder einen festen Wert, doch konnten die Schulden, die sich auf Millionen beliefen, nicht zurückbezahlt werden. Die Banken wollten auch keinen Spielraum mehr gewähren. Der ­gewaltige Aktienbesitz, den Martha, Paula und Anneliese neben dem von Ferdinand in seinem Testament gerecht aufgeteilten Grundbesitz geerbt hatten, verlor mit der Insolvenz des Unternehmens endgültig seinen Wert.

Der Betrieb wurde am 20.2.1926 als `Schütte OHG´ von Otto Heurer übernommen. 1928 war die Ziegelei auf der Ausstellung für Industrie, Baufach und Wohnungswesen in Hannover vertreten. Sie erhielt die Goldene Medaille und den Ehrenpreis des Baugewerkeamts. Zu den Aufträgen in dieser Zeit gehörten unter anderem der Bau des Hochhauses der Bremer Rolandmühle (1927), des Lengericher Eisenbahntunnels (1928), der Hindenburgschleuse von Anderten (1928), des Hindenburg-Denkmals auf Helgoland (1929) oder der pädagogischen Akademie Dortmund (1929). Das Hauptkontor der vier Werke der `Schütte Akt.-Ges. für Tonindustrie´ befand sich nun in der Stiftstr. 31 in Minden. 1929 wurde die `Schütte KG a. A.´ von Ernst Rauch, Heurers Schwiegersohn, weitergeführt.

Ferdinands Tochter Martha blieb sehr eng mit ihrer Tochter Martha verbunden. Ihr Schwiegersohn Hans war nach 1923 als Major a.D. beruflich nicht mehr gefragt, was ihnen zusätzlich die großbürgerliche Lebengrundlage entzog. 1927 beschlossen sie, unweit von Heisterholz nach Frille 54 aufs Land zu ziehen. Zum Kauf eines Hauses nahm Martha Parisius eine Hypothek auf ihre Villa in Minden auf und zog am 10.2.1928 mit um. So hatten sie Mieteinnahmen und konnten von einer eigenen Hühnerfarm leben, bis 1937 Hans kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wieder in seinem Beruf als Offizier gefragt war.

Mit der Ziegelei ging ihre unbekümmerte Welt verloren, die dann endgültig 1940 mit dem Tod von Martha Parisius zu Ende war. So war es Martha und Hans Nöller nach dem Krieg auch nicht mehr möglich, nach Minden in ihre von Flüchtlingen belegte Villa in der Wilhelmstraße zu ziehen. Ebenso wenig war an eine Versorgung mit Lebensmitteln von dem Gut der Ziegelei oder gar an eine Wohnmöglichkeit auf dem Werksgelände zu denken. Sie kamen notdürftig in Göttingen bei der Schwester von Hans unter. Lebensmittel erhielten sie aus der Schweiz über den früheren Kontakt nach St. Moritz. Sie beschlossen nach einigen Jahren, auf dem Grundstück der Wilhelmstraße ein kleines Haus zu bauen, und wandten sich mit der Bitte um ein Darlehen an die Ziegelei. Unter Berufung auf ihren Großvater Ferdinand Schütte erhielt Martha schließlich einen Kredit von der Mindener Sparkasse. Im selben Jahr, am 1.3.1955, nach 82 Jahren wurde die Ziegelei in `Tonindustrie Heisterholz Ernst Rauch KG´ umbenannt. 1956 konnten Martha und Hans endlich im Alter von 64 und 76 Jahren zurück in ihr geliebtes Minden, wo sie noch zwei Jahre gemeinsam verbrachten, bevor Hans starb.

Nachspiel

Ihr Leben lang fühlten sie sich besonders mit Ferdinand Schütte, aber auch wie viele Einheimische mit der Ziegelei tief verbunden. Das von Ferdinand und Pauline in Minden angelegte Familiengrab wird als Denkmal von der Stadt geschützt. Nahe der Ziegelei Heisterholz erinnern die Ferdinand-Schütte- und die Fritz-Schütte-Straße an die Bedeutung ihrer Gründer für die Region.

Ab 1984 gehörte die Ziegelei verschiedenen Firmen an, wie der Brandenburger Dachkeramik (1997), der Rupp Keramik (2000) und schließlich Braas, Lafarge, Monier, die seit 2010 als Brass Monier Icopal (BMI) Group bekannt ist.

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