Naturreichtum von Menschenhand
Es ist eine gängige Redensart: Die Natur erholt sich, wenn man sie sich selbst überlässt. Doch so einfach ist es nicht immer. In einem Zeitalter, in dem der Mensch bereits unwiderruflich in die Biologie, Geologie und Atmosphäre der Erde eingegriffen hat, kann die Natur allein nicht mehr ihre Artenvielfalt aufrechterhalten. Im vom Menschen geprägten Zeitalter, dem Anthropozän, gewinnen künstlich geschaffene Flächen an Qualität, da sie besondere Bedürfnisse gefährdeter Arten erfüllen. Tongruben sind ein Beispiel für solche Lebensräume.
Spätestens seit der Veröffentlichung der „Krefelder Studie“ im Jahr 2017 ist das Insektensterben ein bekannter Begriff. Doch Schmetterlinge und Bienen sind nicht die einzigen Arten, die in Deutschland rückläufig sind. Auch für Kreuzkröte, Zauneidechse oder Uferschwalbe wird es immer schwerer, den von ihnen präferierten Lebensraum zu finden. „Begradigungen der Iller haben dazu geführt, dass dort keine Steilwände mehr für die Uferschwalbe zum Nisten sind. Und kein Landwirt möchte auf seinem Feld einen Tümpel haben, in dem Kreuzkröten laichen“, sagt Murray Rattana-Ngam, Geschäftsführer des Ziegelwerks Bellenberg bei Ulm. „Das sind zwei Tierarten, die bei uns in der Tongrube einen neuen Lebensraum gefunden haben.“
Der Wert der Natur
Beim Abbau von Ton entstehen Steilwände, die nicht nur Uferschwalben, sondern auch Bienen im Frühjahr als Nistplätze dienen. Aber auch wenn die Tiere dort siedeln, kann man die Natur nicht einfach sich selbst überlassen: „Würde man die Steilwände der natürlichen Erosion durch Frost und Regen überlassen, würden die steilen Wände langsam flacher werden und sich auf dem Boden Kegel bilden. So können Marder und andere Raubtiere an die Höhlen gelangen und die Kolonien kehren nicht wieder zurück“, erklärt Anton Hörl von Hörl+Hartmann. Für ihn ist es selbstverständlich, jedes Jahr großen Aufwand zu betreiben, um die Steilwände wieder herzustellen: „Wenn man rein auf die ökonomischen Kosten schauen würde, müsste man sagen: Das ist verlorene Nutzfläche und eine verschwendete Investition. Wenn man aber eine andere Einstellung hat und sich an der Natur erfreut, dann ist diese Freude sehr viel mehr wert als ein paar Euro. Wir haben als Unternehmen auch eine ökologische Verantwortung und der wollen wir gerecht werden.“
So geht es den meisten Ziegelherstellern: „Man muss natürlich schon sagen, dass wir der Natur, dem Boden, etwas entnehmen. Wir geben aber auch etwas zurück,“ beschreibt es Rattana-Ngam. Aus diesem Grund überlässt er nicht einfach Teile seiner Tongrube sich selbst, auch wenn das bequemer und kostengünstiger wäre: „Natürlicher ist nicht immer im Sinne des Artenschutzes.“ Neben den Maßnahmen zur Landschaftsgestaltung findet jedes Jahr eine Begehung des Abbaugebietes durch den BUND statt, der den Artenbestand aufnimmt.
Ausgangspoole schaffen
Auch Louisa Ratzke, Geologin bei Schlagmann Poroton, hilft der Natur hier und da auf die Sprünge, damit sie wieder einen Raum einnehmen und ihre Vielfalt entfalten kann. „Ein großes Problem für viele Arten ist, dass ihre Nahrungsquelle nicht mehr vorhanden ist. Die Raupen des Nachtkerzenschwärmers sind an spezielle Futterpflanzen – wie zum Beispiel Weidenröschen – gebunden“, sagt Ratzke. Wo keine Weidenröschen sind, kann es also auch keinen Nachtkerzenschwärmer geben. Am Standort in Ansbach werden daher Ausgleichsflächen geschaffen, auf denen vor allem Blühpflanzen wie das Weidenröschen wieder angesiedelt werden. „Wenn erstmal ein Ausgangspool geschaffen ist, breiten sich die Pflanzen auch von selbst an geeigneten Standorten aus.“ Rattana-Ngam wendet aber auch ein, dass man nichts erzwingen kann: „Das ist die Natur. Wir haben auch keine Kröten in unsere Tümpel gebracht, die haben sich dort natürlich angesiedelt. Was wir tun können, ist, bestimmte Bedingungen zu schaffen, zu beobachten und bestehende Populationen schützen und zu vergrößern.“
Eingriffe in die Erde lassen sich nicht vermeiden und schon gar nicht lassen sich die Eingriffe der letzten Jahrhunderte oder gar Jahrtausende rückgängig machen. Heute gibt es aber Möglichkeiten, der Natur mindestens genauso viel zurückzugeben, wie man ihr nimmt. Wer „die Natur sich selbst überlassen“ als einziges Prinzip des Artenschutzes verfolgt, senkt im Zweifel sogar die Biodiversität. Um Tierarten zu erhalten, müssen maßgeschneiderte Habitate geschaffen werden – und teilweise langfristig aufrechterhalten werden. Das lässt sich an Orten wie Tongruben idealtypisch mit einer Kombination aus baurechtlichen Auflagen und ökologischem Engagement aus Eigeninteresse umsetzen.