„Service kann wesentlich mehr als Reparaturen“
Zum 1. April 2024 hatte sich das Krumbacher Unternehmen Lingl neu aufgestellt. Anfang November 2024 zog der neue Geschäftsführer Hermann Frentzen im Gespräch mit ZI-Redakteur Victor Kapr eine Zwischenbilanz. Im Interview können Sie lesen, wie der Neustart von Lingl SOLEAD verlaufen ist, warum Alter dabei von Vorteil und es sinnvoll sein kann, sich gegen Kündigungen und für neue Umsatzvisionen zu entscheiden.
Herr Frentzen, wir sprechen ein gutes halbes Jahr nach unserem letzten Treffen auf der Ceramitec 2024. Die Tinte auf dem Übernahmevertrag war noch nicht ganz trocken. Wie ist es Lingl SOLEAD seitdem ergangen?
Hermann Frentzen (HF): Wir sind mit dem Verlauf des Jahres insgesamt zufrieden. Zum Jahresende werden wir eine Punktlandung beim Ergebnis hinlegen. Beim Eigenkapital liegen wir einige Prozentpunkte über dem Plan.
Wir werden die Gesamtleistung, die wir uns für das Jahr vorgenommen haben, fast erreichen. Trotz Anspannung in der Branche gibt es Kunden, die die Flaute nutzen und proaktiv investieren. Es laufen Projekte. Persönlich würde ich nicht mit den Wölfen heulen. Jede Krise ist auch eine Chance. Auch glaube ich, dass wir jetzt insgesamt und auch von der Einstellung so aufgestellt sind, dass wir wieder dabei sein werden, wenn es wieder richtig losgeht.
Das größte Problem der alten Lingl war die Finanzierungsstruktur des Unternehmens. Haben Sie das beheben können?
HF: Uns ist es mittlerweile gelungen, ein zu unserem Geschäft passendes Portfolio an Avalliniengebern mit verschiedenen Partnern aus der Banken- und Versicherungsbranche aufzubauen. Wir sind so gut und breit aufgestellt.
Außerdem konnten wir Unterlegung und Tagesgeschäft trennen. Die Avale sind allein mit selbstschuldnerischen Bürgschaften der Gesellschafter unterlegt. Die Cash-Zahlungen fließen vollständig dem Unternehmen zu. Das erlaubt uns, das Tagesgeschäft ungestört zu betreiben. Diese Trennung war mir sehr wichtig und ich bin zufrieden, dass es so gut gelungen ist. Die Banken finden das auch nicht schlecht.
Ich bin diesbezüglich auch im ständigen Dialog mit den Stakeholdern. Ich glaube sagen zu können, dass wir in diesem Neuanfang bis jetzt gut abgeliefert haben. Das bedeutet auch, dass wir realistische Umsatz- und Businesspläne eingereicht und mit wirklichkeitsnahen Fallszenarien geplant haben.
Die nächste Aufgabe ist, jetzt rasch die Bilanz für das Jahr 2024 zu erstellen und zu berichten, damit unsere Avalliniengeber darauf aufbauen können.
Sie hatten in unserem Gespräch betont, das Lingl „in der Substanz gut aufgestellt“ sei. Hat sich dieser Eindruck bestätigt?
HF: Das ist der Fall. Ich hatte Ihnen damals gesagt, dass ich nichts mache, was finanztechnisch einen Ritt auf der Rasierklinge darstellt.
In der Eröffnungsbilanz der Gruppe, die wir aufgestellt haben, lässt sich das gut nachvollziehen. Lingl SOLEAD startet mit einem für die Branche hervorragenden Eigenkapitalwert von 45 Prozent und einer sehr guten Cash-Position von 24 Prozent der Bilanzsumme. Das gibt uns, den Mitarbeitern und Kunden, die Zuversicht, dass wir den Neustart unter sehr vernünftigen Rahmenbedingungen machen.
In dieser Bilanz sind auch die vier konsolidierten Tochtergesellschaften enthalten. Wobei ich einschränken muss, dass das Tochterunternehmen in Russland wegen der Embargos ruht und wir an dem in Algerien nur eine Minderheitsbeteiligung haben. Mehr Firmenkapital dürfen Ausländer dort aufgrund staatlicher Reglementierung nicht halten.
Wie sieht die Auftragslage aus?
HF: Wir sind bis weit in die erste Hälfte des Jahres 2025 voll beschäftigt. Wir haben einige Aufträge in den USA, einige in Deutschland und noch ein paar weitere in der Pipeline. Entscheidendes Kriterium für die Auftragsannahme ist, dass es kaufmännisch sinnvoll sein muss. Sehenden Auges fahre ich nicht in die roten Zahlen. Deshalb haben wir einige Aufträge, die wir hätten haben können, nicht angenommen.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, noch einmal die Grundlage für diese gute Entwicklung der Lingl SOLEAD zu betonen. Die Geschäftsführung mit Dr. Eibel, den Managern und den Bereichsleitern haben das Unternehmen während der Insolvenz sehr gut restrukturiert und weiterentwickelt. Ohne diese Leistung wäre unsere Situation heute weit weniger vergnügungssteuerpflichtig.
Wo Sie eben die USA erwähnt haben – was sind die Pläne im Ausland?
HF: Teils evaluieren wir die Märkte, teils haben wir inzwischen klare Vorstellungen, welchen Marktanteil wir da erringen können und verstärken unsere Aktivitäten dort. Seit 2000 sind wir mit einer eigenen Gesellschaft in Kernersville, North Carolina, ansässig. Die fahren wir jetzt im Bereich Problembehebung in Steuerung und Anlage mit einer eigenen Service-Unit hoch, um den nordamerikanischen Markt abzudecken. Andere Märkte, die wir uns ansehen, sind bspw. die Turk-Staaten, Nordafrika, Saudi-Arabien.
Wie wollen Sie den Kontakt mit den Kunden wieder aufbauen und stärken?
HF: Wir müssen netzwerken und proaktiv auf potenzielle Kunden zugehen. Früher hieß es, die Leute kommen zu Lingl. Das müssen wir umkehren und ich glaube, das gelingt uns auch. Ich habe schon einige gute Erfahrungen machen können. Ich war und bin immer noch sehr viel unterwegs, um Lingl SOLEAD und mich als Mehrheitsgesellschafter vorzustellen. Mein Alter ist dabei von Vorteil, einem 65-jährigen Familienunternehmer bringen die Kunden mehr Vertrauen entgegen als einem 30-Jährigen.
Ein wesentlicher Punkt ist die Art und Weise, wie wir kommunizieren. Ich habe durch Workshops bei uns erlebt, wie begeistert die Kunden vom Know-How und der Einstellung der Mitarbeiter von Lingl SOLEAD herauskamen. Da habe ich eingesehen, dass wir unsere Stärken mehr nach außen tragen müssen. Wir müssen vom früheren Image des Weltmarktführers weg. Wir sind jetzt einfach Dienstleister und müssen bereit sein, die Seite zu wechseln und uns in den Kunden hineinzuversetzen. Wenn die über Wasserstoff reden wollen, müssen wir über Wasserstoff reden können. Dasselbe mit Gas, Elektro, Digitalisierung, Sensorik usw. Diese Disziplinen haben wir in den letzten Jahren entwickelt und zu wenig thematisiert.
Schließlich konzentrieren wir uns auf das Service-Geschäft. Service kann wesentlich mehr als Reparaturen. Service kann zum einen das Ersatzteilgeschäft meinen, kann aber auch den Weg ins Projektgeschäft bereiten. Es geht dabei um permanenten Kundenkontakt. Um das zu erreichen, ohne zu viel zu nerven, bieten wir Schulungen im Bereich Steuerung, Mechanik usw. bei uns in Krumbach an. Wir werden aber auch zukünftig mit portablen Geräten Schulungen extern machen können. Diese Dauerkontakte bringen beiden Seiten Mehrwert. Der Kunde profitiert im Bereich Schulungen, im Bereich Predicted Maintenance mit Health Checks und professioneller Aufbereitung der Befunde. Das ist nützlich für die Geschäfts- und die Werksleitung. Denn mittels regelmäßiger, alle zwei Jahre stattfindender Health Checks entsteht für das Unternehmen eine Roadmap für Instandhaltung, Anlagenführung und die Planung von Investitions- und Betriebsausgaben. Da sind wir jetzt dran und werden unsere Mitarbeiter, die draußen im Feld sind und in der Regel auch sehr gute und enge Kontakte zu den Kunden haben, stärker einspannen.
Wie sieht es am Standort Krumbach unter den Mitarbeitern aus?
HF: Die Kernmannschaft ist weitgehend gleichgeblieben. Uns haben, glaube ich, drei Leute verlassen. Für einen war es nicht unbedingt eine vertrauensbildende Maßnahme, dass er das erste Gehalt vom Insolvenzverwalter bekommen hat. Zwei andere Mitarbeiter hatten berechtigterweise Sorge, weil sie in der Phase von Familiengründung und Hausbau standen.
Diese Leute möchte ich gerne wieder zurückholen. Ich stehe mit denen in Kontakt und werde signalisieren, wenn wir wieder sicher auf Kurs sind. Aber ich möchte niemanden in ein soziales Abenteuer locken.
Wenn ich in Krumbach bin, laufe ich jeden Tag durch das Unternehmen, spreche mit jedem und bin präsent. Das ist sehr wichtig. Aufgrund der jüngeren Firmengeschichte haben viele unserer Mitarbeiter das Gefühl der Sicherheit verloren. Das geben wir jetzt zurück und das macht auch Freude. Dazu gehören auch regelmäßige Mitarbeiterinformationen über unsere Fortschritte am Markt.
Insgesamt hat sich die Truppe in die richtige Richtung entwickelt und bildet jetzt eine funktionierende Mischung aus erfahrenen und neuen Kollegen. Die technische Expertise, die den Kunden begeistert, bringen meine Kollegen mit Prokura, Frank Staudenmaier, Karl Liedel, Bernd Braun und Markus Martl, mit und setzen die auch um. Das klappt sehr gut. Außerdem haben wir mit vielen guten und jungen Menschen, die auch brennen, die nächste Riege im Unternehmen. Das finde ich toll und ich kümmere mich auch selbst um die 17 Auszubildenden und dualen Studenten.
Hinter diesem ganzen Thema steht die Frage, die wir am Anfang im April zu beantworten hatten. Halbieren wir die Belegschaft und bleiben bei den bestehenden Umsatzerwartungen? Oder halten wir die Belegschaft inklusive Auszubildenden und legen die Umsatzvision neu fest? Ich habe mich für neue Umsatzvisionen entschieden.
Halten Sie diese Entscheidung immer noch für richtig?
HF: Ja, das werden wir mit unserer Bilanz 2024 und unseren Plänen für die kommenden Jahre unter Beweis stellen. 2025 wollen wir zwischen 40 und 44 Millionen Euro Gesamtleistung erbringen. 2026 wollen wir wieder über 50 Millionen Euro kommen. Für diese Pläne fühlen wir uns mit unseren jetzt aktiven Leuten sehr gut vorbereitet. In den kommenden Jahren werden wir auch sukzessive diese Jungen immer mehr ins Feld schicken. Diese Atmosphäre zu schaffen, Alt und Jung zu verzahnen, das macht Freude.