Victor Kapr

Krumbacher Investor steigt bei Lingl ein

Das Krumbacher Unternehmen Lingl hat seit dem 1. April 2024 einen neuen Mehrheitsgesellschafter und einen neuen Namen. Hermann Frentzen, Unternehmer aus Krumbach, will mit der LINGL SOLEAD GmbH das operative Geschäft und die erfolgreiche Maschinen- und Anlagenbautradition fortsetzen. Als Gesellschafter zur Seite steht ihm das Management-Team der früheren Lingl Anlagenbau GmbH: Geschäftsführer Joachim Eibel, Vertriebsleiter Karl Liedel, Leiter Service Bernd Braun, Leiter Technik Markus Martl sowie der kaufmännische Leiter Frank Staudenmaier. Weitere Minderheitsgesellschafter sind drei Unternehmer aus der Region, die Gebrüder Welzhofer. Als Mehrheitsgesellschafter einer zweiten Gesellschaft, der Grund und Gebäude von Lingl gehören, sind sie die Vermieter von LINGL SOLEAD.

Hermann Frentzen, geboren 1959 in Mönchengladbach, hat Steuerfachgehilfe gelernt und Finanz- und Steuerwesen studiert. Er ist seit fast vier Jahrzehnten unternehmerisch in verschiedenen Branchen tätig. U. a. entwickelte und leitete Frentzen zwischen 1994 und 2012 die Geschäfte eines Unternehmens für Outdoor Living und Sonnenschutzsysteme in der Region Bayerisch-Schwaben. Weitere Unternehmen hat er als Gesellschafter oder im Aufsichtsrat begleitet. Seit 2009 wohnt er in Krumbach.

Auf der Ceramitec 2024 bot sich der ZI-Redaktion die Gelegenheit, mit Frentzen über die Zukunft des Unternehmens, über die Hintergründe seiner Entscheidung und seine Pläne zu sprechen.

Herr Frentzen, warum investieren Sie in eine dreimal insolvent gegangene Firma?

Hermann Frentzen (HF): Die kurze Antwort lautet, ich war in der günstigen Lage, meiner Heimat helfen zu wollen und zu können. Ich wohne in Krumbach und Lingl ist dort ein sehr wichtiger Arbeitgeber. Eine Abwicklung des Unternehmens hätte sich auf die Stadt und die Region ausgewirkt. Auch habe ich mich als gelernter Betriebswirt und langjähriger und leidenschaftlicher Unternehmer gewundert, dass ein Traditionsunternehmen mit hervorragendem Ruf schon wieder ins Schwanken gerät.

Was hat Sie überzeugt, dass es sich lohnt, bei Lingl einzusteigen?

HF: Hinter dieser Entscheidung steckten zwei Erkenntnisse: Das Unternehmen ist in der Substanz gut aufgestellt und die Probleme lagen hauptsächlich in der Finanzierungsstruktur. Die betriebswirtschaftlichen Eckdaten von Lingl hielten einige Überraschungen bereit. Im Insolvenzjahr 2023 lag der Pro-Kopf-Umsatz bei 250.000 Euro, ein hervorragender Wert. Die Reklamationsquote lag bei traumhaften 0,3 Prozent. Im Insolvenzjahr hätte Lingl, lediglich mit dem Mindesteigenkapital, rund 52 Millionen Euro Umsatz mit 2 Millionen Euro Gewinn gemacht. Aus diesen Zahlen sprach ein im Kern gesundes Unternehmen mit einer guten Perspektive. Ebenso unterstrich dieses Ergebnis, zwei Jahre nach der letzten Insolvenz 2021, die tolle Leistung der Geschäftsführung. Dr. Eibel hat das Geschäftsmodell erfolgreich an die Marktbedürfnisse angepasst. Deshalb wird er auch operativer Geschäftsführer bleiben.

Wo war dann der Haken bei Lingl?

HF: Im Maschinenbau sind zwei Faktoren ausschlaggebend für ein Unternehmen: die Höhe der Grundfinanzierung und die Avallinie. Der Verlust der Avallinie hat die Insolvenz 2023 ausgelöst. Dazu kam es, weil die Schug Group Lingl mit den Schwesterunternehmen Lippert GmbH & Co. KG und Trafö Lagersysteme GmbH & Co. KG unter einen gemeinsamen Finanzierungsrahmen platziert hat. Deshalb haben, als Lippert notleidend wurde, die Banken die Bürgschaftslinie für alle eingestellt. Obwohl die Geschäfte gut liefen, wurde Lingl von heute auf morgen der Boden unter den Füßen weggezogen. Denn ohne Bürgschaft, die den Auftraggeber absichert, war niemand bereit, Lingl einen Auftrag zu geben. Das Eigenkapital war zu gering, um eine Alternative darzustellen.

Das bedeutet, dass mit einer Bürgschaftsgarantie alles weiterlaufen könnte?

HF: Nein, für einen ernsthaften Neustart als Unternehmen braucht es finanzielle Eigenständigkeit. Das lässt sich zum einen mit einer deutlichen Steigerung des Eigenkapitalanteils erreichen. Höheres Eigenkapital gewährt mehr Handlungsspielraum. Das ist wie der Hubraum in einem Verbrennerauto. Mehr Hubraum verschafft mehr Möglichkeiten auf der Straße. Andererseits braucht Lingl eine auf seine Bedürfnisse zugeschnittene Avallinie in ausreichender Höhe. Nur so können wir wieder große Projekte angehen, das Vertrauen der Kunden zurückgewinnen und eine neue Insolvenz verhindern. Deshalb habe ich auch mit der Bank an einer Lösung für das Unternehmen gearbeitet, die dessen Eigenständigkeit wahrt.

Haben Sie deswegen den Gesellschafterkreis auf Ge-
schäftsführung und Bereichsleiter ausgedehnt?

HF: Da ging es weniger um Kapitalmangel als um eine neue Firmen- und Führungskultur. Ich wollte im Management mehr unternehmerisches Verhalten auslösen und durch persönliche Beteiligung ein persönliches Interesse an der Unternehmensentwicklung fördern. 15 Prozent der Unternehmensanteile liegen jetzt in den Händen des Managements. Diese Beteiligung war eine unabdingbare Voraussetzung, die ich vor meinem Eintritt bei Lingl gestellt habe.

Was ist Ihr Ziel mit Lingl?

HF: Ich möchte Lingl langfristig profitabel machen und den Unternehmenswert steigern. Profit ist das Einzige, was Zukunft generiert, Arbeitsplätze sichert und Innovationen ermöglicht. Dies wird uns helfen, Finanzierungsrahmen zukünftig unabhängiger und zu besseren Konditionen zu vereinbaren. Am Ende will ich, dass Lingl als Marke und als technischer Lösungsgeber gegenüber Mitarbeitern, Kunden und Banken überzeugt. Das Unternehmen hat bewiesen, dass das Potenzial vorhanden ist, auf eigenen Füßen zu stehen.

Wie wollen Sie dieses Potenzial heben?

HF: Es gibt im Unternehmen fünf Kernkompetenzen, die wir ausbauen müssen, um eine feste Perspektive zu entwickeln.

Im Bereich Research and Development wollen wir für verstärkt auf Innovationen und Patente setzen. Dekarbonisierung und Digitalisierung bieten dafür gute Gelegenheiten. Der Bedarf ist vorhanden und Lingl ist in beiden Themenbereichen bereits seit Jahren aktiv. Wir sollten uns breit aufstellen, alte Technologien optimieren und neue je nach Gegebenheit verfolgen.

Die zweite Kernkompetenz ist eine starke Konstruktionsabteilung. Wir müssen die Entwicklung, die in den vergangenen zweieinhalb sehr erfolgreichen Jahren verlaufen ist, fortsetzen und fördern. Dazu gehört einerseits, Prozesse zu optimieren und nach innen und außen Leuchtturmprojekte zu setzen. Andererseits werden wir die Fertigungstiefe kappen und mit Spezialisten zusammenzuarbeiten. Doch die Endmontage bleibt Eigenleistung.

Drittens wollen wir das Projektmanagement weiter professionalisieren. Lingl hat bereits gute Planungs-, Steuerungs- und Kontrollstrukturen. Die wollen wir u. a. durch Digitalisierung ausbauen. Wir müssen die Fähigkeit zur Steuerung komplexer Projekte konkret unter Beweis stellen, um Vertrauen bei unseren Kunden für größere Projekte zu gewinnen.

Viertens werden wir den bereits sehr erfolgreichen Servicebereich weiter ausbauen. Im vergangenen Jahr haben Serviceaufträge rund ein Drittel des Umsatzes ausgemacht. Zudem sind die Geschäftsfelder Service und Neuprojekte untrennbar miteinander verbunden. Service generiert uns über Reparaturen, Beratungsgespräche und Informationsaustausch einen Dauerkontakt zu Kunden, was sich in neuen Aufträgen niederschlägt.

Fünftens soll die Arbeitgebermarke gestärkt werden. Wir haben eine starke Truppe in der Montage, die möchte ich ausbauen. Deshalb ist es mir wichtig, dass wir junge Leute anziehen. Zwar ist die Konkurrenz um Maschinenbauer in der Region groß, aber unsere Chance ist, als familiäres Unternehmen dagegen zu punkten.

Was hat es mit dem neuen Namen LINGL SOLEAD auf sich?

HF: Wir mussten dem Unternehmen für den Neustart einen neuen Namen geben. Der Name Lingl ist zwar wegen der Unternehmensgeschichte mit schlechten Nachrichten verbunden, sowohl in der analogen Öffentlichkeit als auch Internet. Gleichzeitig ist der Name aber den Kunden vertraut und die Mitarbeiter sind stolz darauf. Deshalb haben wir uns entschieden, dem Namen Lingl das Wort Solead, was wie solid klingt und das englische Wort für Führen beinhaltet, beizustellen. Die Vision hinter dem Namen ist: Solide mit technisch führenden Lösungen wieder zu einer Position am Markt zurückzukehren.

Wie sieht die Firmenstruktur aus?

HF: LINGL SOLEAD GmbH hat zwei Tochterunternehmen, Lingl UK und Lingl Service GmbH. Unter der zweiten Firma stehen drei weitere Tochter- bzw. „Enkel“-Unternehmen mit Fokus auf bestimmten, wichtigen Auslandsmärkten: Lingl Incorporation America, Lingl Algerien und Lingl Russland. Russland ist aktuell ein schwieriger Markt. Das Geschäft ruht weitgehend, wir halten uns an alle Sanktionsbestimmungen. Aber aufgeben möchten wir unsere Präsenz dort nicht. Denn nicht jeder Russe denkt wie Putin und der russische Markt wird nach dem Ende des Krieges wieder wachsen.

Wie sieht die unmittelbare Zukunft aus?

HF: Viele Reisen und viele Termine. Ich will in die Branche eintauchen und die handelnden Partner kennenlernen. Dass heißt präsent sein, auch vor Ort, in Kontakt treten mit Kunden und Dienstleistern und zuhören. Wenn ich nicht mit Karl Liedel auf „Tournee“ bin, werde ich mich im Unternehmen aufhalten. Direkte Kommunikation mit den Mitarbeitern ist mir sehr wichtig. Außerdem möchte ich mich über das Geschäft informieren. Ich bin sozusagen der älteste Azubi des Unternehmens, auch wenn ich das meiste Geld mitgebracht habe.

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