Architekturführer Kasachstan
Kasachstan ist bislang ein weißer Fleck auf der architektonischen Landkarte. Zu Unrecht, wie Philipp Meuser und die Autoren des Architekturführers Kasachstan zeigen: Sie unternehmen erstmals den Versuch, die Baukunst des Landes in seiner Vielfalt und Widersprüchlichkeit – zwischen orientalischer Traditionsfindung, westlichen Vorbildern und russisch-sowjetischem Erbe – zu würdigen und zugleich kritisch zu analysieren.
Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 wird Kasachstan von Nursultan Nasarbajew mit ehrgeizigen Zielen regiert. Bis 2050 soll das an Bodenschätzen reiche Land zu den 30 entwickeltsten Staaten der Welt gehören. Derzeit bereitet man sich für die Weltausstellung 2017 vor. Die Hauptstadt Astana wird dann erst 20 Jahre alt sein: Sie wurde 1997 gegründet, Bevölkerung, Wirtschaft und Bautätigkeit wachsen seitdem unaufhörlich. So entstand hier – nicht zuletzt dank sprudelnder Einnahmen aus dem Ölgeschäft – mitten in der Steppe ein beispielloses architektonisches Versuchslabor: nicht nur kasachische Architekten ließen hier ihrer Phantasie freien Lauf, sondern auch globale Akteure wie Norman Foster, Massimiliano Fuksas und Kisho Kurokawa (†). Dagegen ist die ehemalige Hauptstadt Almaty im Südosten ein „bunter Architekturzirkus mit allerlei Darbietungen aus der Baugeschichte“: Europäische Stile aus zwei Jahrtausenden werden hier hemmungslos zitiert. Dies belegt der Band mit insgesamt 100 Projekten zeitgenössischen Bauschaffens dieser beiden Städte.
Bei der Suche nach der kasachischen Architektur stieß das deutsch-kasachische Autorenteam auch auf weit entfernte und im europäischen Verständnis eigenartige Orte wie etwa den Weltraumbahnhof Baikonur, auf die Kasinostadt Kaptschagai (das „kasachische Las Vegas“, in dem die „nouveau riches“ ihrer Spiellust frönen) oder zu den Fischern am fast ausgetrockneten Aralsee, die um ihre Existenz kämpfen. Die ausgewiesenen Kenner Kasachstans führen auch zu unbekannten Städten am Rande von Atomwaffentestgebieten und des Uranabbaus, zu den Arbeiterstädten, die einst für die Rüstungs- und Rohstoffindustrie entstanden sind: Ust-Kamenogorsk in der Nähe der chinesischen Grenze, Pawlodar im russisch geprägten Norden oder die sowjetische Musterstadt Aktau am Kaspischen Meer. Klaus Pander (DuMont-Kunstreiseführer Zentralasien), der vor über 50 Jahren zum ersten Mal in Kasachstan war, führt in die Geschichte und Kultur ein.
So erfahren die Leser in insgesamt vierzehn Kapiteln viel Wissenswertes über ein widersprüchliches und vielfältiges, aber nahezu unbekanntes Land, das bislang wegen seiner grandiosen Naturkulisse bereist wird – es aber verdient, dass seine kulturellen Leistungen gewürdigt werden. Indem sich die Autoren der Architektur annähern, schaffen sie ein differenziertes Portrait eines Landes, das von Gigantomanie und rasanter Entwicklung auf der einen, von Umweltzerstörung und Armut auf der anderen Seite geprägt ist.Bisher gibt es keine deutschsprachige Literatur, die das aktuelle Architekturschaffen und die Baugeschichte
Kasachstans so umfangreich und kontextbezogen zusammenfasst und dokumentiert. Die kasachische Architektur von den muslimischen Baudenkmälern des Mittelalters bis zur russischen Kolonialarchitektur, von neoklassizistischen Prunkbauten zu den Hauptwerken der Sowjetmoderne und vor allem zur aktuellen Architektur wird so erstmalskulturgeschichtlich und architekturhistorisch eingeordnet.
Interviews mit Protagonisten wie mit dem Chefredakteur der (einzigen) Architekturzeitschrift Kasachstans Timur Turekulow oder mit dem 2007 verstorbenen Kisho Kurokawa über den Masterplan von Astana bereichern das Buch um persönliche Aspekte und interne Sichtweisen. Die Texte werden illustriert mit bisher unbekanntem Bild- und Kartenmaterial.
Philipp Meuser (Hrsg.)
Kasachstan
Architekturführer
Mit Beiträgen von Adil Dalbai, Guido Herz, Yuliya Sorokina, Götz Burggraf, Henning Büchler, Ingo Zasada, Dmitrij Chmelnizki,
Peter Knoch und Klaus Pander
134 × 245 mm, 540 Seiten, 800 Abbildungen, Softcover
ISBN 978-3-86922-272-1 (deutsch)
EUR 48,00 / CHF 61,80
September 2014. DOM publishers, Berlin