Bundwerk unter rustikalem Dach
Ein Dorf lebt von seinem sozialen Zusammenhalt. Das gilt auch für die oberbayrische 2500-Seelen-Gemeinde Prutting im Landkreis Rosenheim. Doch dieser Zusammenhalt braucht ein Dach über dem Kopf. Und das fehlte in Prutting. Die Gemeinde, die Vereine und engagierte Bürger beschlossen, diesem Notstand abzuhelfen, und gründeten den Arbeitskreis „Dorfstadl“. Erfolg: eine moderne Festhalle mit historischer Bundwerkfassade und einem neuen, qualitativ hochwertigen Creaton-Dach mit dem traditionellen Design des „Rustico“-Falzziegels.
Klar war: Es sollte ein Gebäude mit Seele werden, keine jener berüchtigten Mehrzweckhallen, wie sie überall stehen könnten, sondern eben ein „Stadl“ in regionaler Bauweise. Zwei Jahre war der Pruttinger Arbeitskreis „Dorfstadl“ auf der Suche nach einer geeigneten Immobilie. Dann fand er das richtige Objekt, ein 1842 erbautes Stallgebäude mit bemerkenswert schöner Holzfassade auf einem Feldsteinsockel, rund 34 m lang, 12 m breit und 9 m hoch. Es gab „nur“ zwei Herausforderungen:
1. Der Stadl stand nicht im eigenen Ort, sondern im Nachbardorf Söchtenau-Heumühle. 2. Er stand unter Denkmalschutz. Davon wollten sich die Initiatoren nicht abhalten lassen. Ihre Idee: den Stadl zu erwerben, ihn „einfach“ zu demontieren und in Prutting neu zu errichten. Denn das mehr als 150-jährige Objekt ist eine Besonderheit der Zimmermannstechnik, ein historischer Bundwerkstall und damit, so Architekt Josef Sommerer, „ein Juwel, wie es heute kaum mehr eines gibt.“ Dass die Denkmalpflegebehörde überhaupt zustimmte, war der Einsicht zu verdanken, dass das Denkmal am alten Ort keine Zukunft hatte. Wegen des teilweise eingestürzten Dachs tickte die Uhr, und der alte Eigentümer sah sich nicht in der Lage, den Verfall des Stadls nachhaltig aufzuhalten. Die Aufhebung des Denkmalpflegestatus machte den Weg frei für den alten neuen Dorfstadl in Prutting – und für den Erhalt der schönen Bundwerkfassade.
Zimmermannsjuwel für Prutting
Bundwerk ist neben Blockbau und Fachwerk die dritte große Holzbautechnik. Sie ist typisch besonders für die bäuerliche Baukultur des 19. Jahrhunderts in Bayern und Österreich. Vor allem im nordöstlichen Oberbayern zählt das Stadelbundwerk zum Formenreichsten, was Zimmerleute in Mitteleuropa geschaffen haben. Dabei werden Balken teilweise in Gitterform oder schräg über Kreuz verbunden. Damit wird vor allem die Front- und Giebelseite bäuerlicher Wirtschaftsgebäude, zum Beispiel die Getreide-Stadel von Vierseithöfen, geziert. In den Jahren zwischen 1830 und 1860 hat das Bundwerk seine Hochblüte erlebt, als neben dem Zimmermann auch Maler und Schnitzer das Bundwerk künstlerisch gestalteten. Aus dieser Zeit stammt auch der Stadl, der jetzt Prutting verschönert.
Moderne Halle in historischem Kostüm
Bevor jedoch der Umzug des „Bundwerkstadls“ beginnen konnte, wurde zunächst ein geeigneter Platz in Prutting ausgesucht, nämlich neben dem Sportplatz, und dort ein neuer „Kern“ errichtet. Rund 950.000,00 € sollte der Bau kosten. Erhebliche Mittel werden dabei von vier Pruttinger Vereinen aufgebracht, aber auch Eigenleistungen von rund 11.000 Arbeitsstunden. Rund ein Drittel der Bausumme kam durch die großzügige Spende eines privaten Sponsors zusammen. Der Gedanke war, nach den Maßen des Stadls (nur etwas länger) eine moderne Festhalle zu bauen, die groß genug ist, um bestuhlt 240 Zuschauern Platz zu bieten, die allen gängigen technischen und Sicherheitsanforderungen gerecht wird, der als Hülle aber das alte Bundwerk vorgesetzt wird sowie ein Dach nach dem Muster des alten. Die dazu nötigen Zimmermannsarbeiten wurden unter Leitung von Zimmermeister Peter Brunner, dessen Betrieb in Vogtareuth über reiche Erfahrungen mit Bundwerkbauten verfügt und sich u.a. auf Denkmalsschutzobjekte spezialisiert hat, maßgeblich von den Pruttinger Zimmereien Dominikus Brandl und Christian Kaffl durchgeführt.
Der rustikale Charme des „Rustico“
Das alte Dach war ein einfaches Satteldach mit einer Fläche von 530 m² (inkl. dem landestypisch knapp zwei Meter breiten Dachüberstand) und einer Neigung von 22 Grad. Eingedeckt war es mit naturroten Meindl-Doppelmuldenfalzziegeln aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Damit waren sie also zwischen 90 und 100 Jahre alt und so trotz eines guten Erhaltungszustandes zu alt, um auf dem neuen Dach noch einmal Verwendung zu finden. Die Falzziegel entsprachen dem legendären Doppelmuldenfalzziegel-Modell Z1, das Ende des 19. Jahrhunderts im pfälzischen Ziegelwerk Ludowici erstmals entwickelt und produziert wurde. Der typische Charakter dieses Falzziegels entsteht durch seine beiden symmetrisch angeordneten Mulden mit den sanften Radien. Dieses traditionelle Design lebt fort in dem kleinformatigen Dachziegel „Rustico“ von Creaton. Seine Doppelmulden gewährleisten eine besonders gute Wasserführung. Die ausgewogene Verfalzung schafft sympathische Proportionen und eine sichere Wasserführung bei Dachneigungen ab 20°. Die feine Gliederung ermöglicht auch bei kleineren Dächern eine äußerst angenehme Flächenwirkung. Dank ihrer prägnanten Optik entwickeln Doppelmuldenfalzziegeldächer eine lebhafte Licht- und Schattenwirkung. So fiel die Entscheidung für den „Rustico“ nicht schwer. Er ist nicht nur in Prutting auch heute noch sehr beliebt und kommt bei traditionellen Bauwerken, der Sanierung anderer Altbauten ebenso wie im Neubau häufig zum Einsatz.
Reparaturen mit altem Holz
Bevor jedoch das neue Dach eingedeckt werden konnte, war der Dachstuhl neu zu errichten. Grundlage war ein Aufbau nach modernen Fachregeln – mit ordentlicher Wärmedämmung und Unterspannbahn auf einer statisch tragenden Konstruktion. Darauf wurde der traditionelle Dachstuhl aufgesetzt, so weit es ging, unter Nutzung der alten Pfetten und der alten Sparren, vor allem im sichtbaren Bereich des Dachüberstands. Um hier ein einheitliches Bild zu gewährleisten, setzten die Zimmerer auch da, wo die Stichbalken des alten Stadls zu schadhaft waren, altes, bereits vergrautes Holz ein. Auch das Schmuckwerk des Bundwerks wurde, wo schadhaft ausschließlich mit alten Hölzern repariert. Mit rund 7.700 „Rustico“-Ziegeln im Format 23 x 41,5 cm wurde das 22° geneigte Satteldach eingedeckt. Die Dachfläche wird nur von einem Kamin unterbrochen. Wegen der zwangsgelüfteten Konstruktion konnte auf Lüfterziegel und Dachdurchdringungen verzichtet werden. Statt eines keramischen Ortgangs setzten die Zimmerleute die traditionellen Windbretter ein. Als zusätzliche Windsogsicherung wurden die ersten drei Pfannenreihen ab Ortgang mit Klammern fixiert. Der First wurde trocken verlegt und mit dem Montagesystem „Firstfix“ von Creaton gesichert. Dabei wurden die vorgelochten Firstziegel einfach mit einem korrosionsbeständigen Klammerdraht an der letzten Dachlatte befestigt.
Von Anfang an schief
Die Dachrinnen aus Kupferblech wurden neu eingesetzt, aber in historischer Weise parallel zur Traufe. Für die notwendige Abflussneigung sorgt eine traditionelle Besonderheit des Bundwerkstadlbaus: Die Baukonstruktion inklusive Fassade ist auf den Traufseiten „schief“, um quasi konstruktiv den Regenwasserablauf auch ohne geneigte Regenrinne zu gewährleisten.
Kulturdenkmal für Kultur
Natur hat Prutting schon genug. Der neue alte Dorfstadl ist nun auch ein Kulturdenkmal von Rang, das zugleich der Kultur einen Raum bietet. Ob Faschingsgildebälle, Theateraufführungen oder Vereinsfeste – Bürger und Touristen haben jetzt ein festes Dach über dem Kopf. Und was für ein schönes!