Ziegelindustrie setzt auf gezielte Forschung und Entwicklung
Wissenschaftlich-technischer Fortschritt sowie die schnelle praktische Anwendung von gewonnenen Erkenntnissen sind entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg – heute mehr denn je. Über den Stellenwert von Forschung und Entwicklung für die deutsche Ziegelindustrie sprachen Murray Rattana-Ngam, Vorstandsvorsitzender des Instituts für Ziegelforschung Essen e. V., und Dr. Matthias Frederichs, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Ziegelindustrie e. V. sowie der Forschungsgemeinschaft der Branche.
Wie wichtig ist Forschung und Entwicklung für die Ziegelindustrie?
M.F.: Enorm wichtig und unsere Branche ist diesbezüglich gut aufgestellt. Die Investitionsquote der Ziegelindustrie liegt bei rund fünf Prozent. Zum Vergleich: Das verarbeitende Gewerbe gibt dafür zwischen drei und vier Prozent aus. Forschung und Entwicklung wird sowohl in den Unternehmen direkt als auch darüber hinaus betrieben, etwa im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft der industriellen Forschungsgemeinschaften (AiF). Damit partizipieren wir von der öffentlichen Forschungsförderung. Aus unserer Sicht liegen die langfristigen Schwerpunkte in der Optimierung der energieintensiven Produktion und dem Heben weiterer Potenziale zur Senkung des CO2-Ausstoßes.
M.R.N.: Das kann ich nur unterstreichen. Die Ziegelindustrie betreibt bereits seit 1952 eine eigene Forschungseinrichtung, das Institut für Ziegelforschung Essen e. V. (IZF). 18 der insgesamt 21 Mitarbeiter sind wissenschaftlich tätig, arbeiten in den Einrichtungen des Instituts, in Laboren und an Prüfständen. Seit 1969 hat das IZF fast 100 Forschungsvorhaben zum Themenfeld Energieeffizienz abgeschlossen, ca. 20 allein in den vergangenen zehn Jahren. Die Mitglieder des Trägervereins sind Unternehmen der grobkeramischen Industrie, des Anlagenbaus sowie Industrie- und Fachverbände. In meiner Funktion als Geschäftsführer des Ziegelwerks Bellenberg habe ich 2017 das Ehrenamt des Vorstandsvorsitzenden übernommen.
Womit beschäftigt sich das IZF und welche Schwerpunkte setzen Sie aktuell?
M.R.N.: Wir haben uns den Themen verschrieben, die die Branche insgesamt betreffen, das reicht von der Rohstofferkundung über die Verfahrens- und Umwelttechnik bis zur Bauteilprüfung. Geforscht wird sowohl rohstoff- als auch verfahrensseitig, um etwa Produkt- und Prozesseigenschaften maßgeblich zu verbessern oder sogar neue zu entwickeln. Gleichzeitig werden bauphysikalische Eigenschaften wie Wärme-, Schall- und Feuchteverhalten bewertet. Die Ergebnisse stellen wir allen Mitgliedern des Vereins zur Verfügung.
Unser Fokus liegt ganz klar auf der Reduzierung von Energieverbrauch und CO2-Emissionen. Ein Beispiel: Für das Trocknen und Brennen der Ziegel wird in der Regel Gas verwendet. Wir haben in unserem Werk in Bellenberg ein Verfahren mit neuartigen Brennern getestet und die erzielten Ergebnisse haben die Erwartungen weit übertroffen. Neben einem geringeren Energieverbrauch mit Einsparungen bis zu 15 % konnten auch die Produkteigenschaften verbessert werden. Wer sich dafür interessiert, kann sich das bei uns vor Ort gern anschauen. Die daraus entstandene neue Technik wird bereits von einem renommierten Anlagenbauer angeboten.
Wir beschäftigen uns auch intensiv mit der Fragestellung, wie Wasserstoff als Brennstoff eingesetzt werden kann.
M.F.: Umweltfreundliche und energieeffiziente Ziegelbaustoffe setzen eine kontinuierliche Steigerung der Energieeffizienz in der Produktion voraus. Daran arbeitet unsere Branche bereits seit Jahrzehnten erfolgreich. Mit Blick auf die Energiewende geht es im Wesentlichen darum, Erdgas als ressourcenschonende Übergangstechnologie perspektivisch durch erneuerbare Energieträger zu ersetzen. Ein Schritt in diese Richtung ist beispielsweise die Entkopplung von Ofen und Trockner, die eine Kombination unterschiedlicher Energieträger ermöglicht. Auch die verstärkte Nutzung von Abwärme aus der thermischen Nachverbrennung ist ein Thema. Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten zur Energieeinsparung und Emissionsvermeidung, an denen intensiv geforscht wird.
Die Ziegelindustrie ist eine eher mittelständisch geprägte Branche. Wie gestaltet sich der Austausch des IZF mit den Akteuren vor Ort?
M.R.N.: Themen und Schwerpunkte werden gemeinsam identifiziert, mit Projektpartnern und in Ausschüssen, etwa in der AiF. Neben Transparenz ist auch das Verstehen untereinander wichtig. Nicht alle unsere Partner sind Wissenschaftler oder Techniker. Also muss nachvollziehbar sein, was wir tun und welche Projekte Priorität bekommen. Diese werden von Unternehmensvertretern begleitet, Zwischenergebnisse werden gesichtet und es wird entschieden, wie es weitergeht. Außerdem veranstalten wir jedes Jahr das IZF-Seminar, tauschen uns mit Akteuren der Branche aus, informieren und bekommen Feedback. Die nächste Veranstaltung ist für den 29. und 30. September 2020 in Essen geplant.
Zudem bieten wir für den Transfer von Know-how eine intensive und direkte Beratung vor Ort an.
Welche Kooperationen gibt es darüber hinaus?
M.R.N.: Wir unterhalten zum Beispiel enge Beziehungen zum Institut für Angewandte Bauforschung Weimar, zum Institut für Strömungstechnik und Thermodynamik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, zum Forschungsinstitut für Anorganische Werkstoffe – Glas/Keramik – GmbH in Höhr-Grenzhausen, zum Institut für Ofenbau der RWTH Aachen sowie über den europäischen Ziegelverband Tiles and Bricks Europe (TBE) zu den europäischen Ziegelherstellern. Die Probleme und Schwerpunkte der Forschung sind ähnlich und verbinden, Know-how wird ausgetauscht. Darüber hinaus gibt es projektbezogen Kooperationen mit Hochschulen auf internationaler Ebene, etwa zur Fachhochschule Gent. Als Mitglied der Deutschen Industrieforschungsgemeinschaft Konrad Zuse (Zuse-Gemeinschaft), die die Interessen unabhängiger privatwirtschaftlich organisierter Forschungseinrichtungen vertritt, pflegt das IZF intensive Kontakte mit weiteren Forschungseinrichtungen. Unsere Projekte und Ergebnisse präsentieren wir regelmäßig auf Messen und Fachtagungen. Das internationale Netzwerk reicht bis nach Israel, Russland und sogar Bangladesch.
Welche Aufgaben halten Sie für vordringlich?
M.R.N.: Als Vorstandsvorsitzender des IZF und zugleich Unternehmer sehe ich mit Sorge auf den Mangel an Fachkräften, sowohl in der beruflichen Ausbildung als auch in der akademischen Welt. Wir müssen etwas dafür tun, dass unsere Industrie, deren Potenzial und die vielfältigen Karrierechancen bei jungen Menschen künftig präsenter sind und besser wahrgenommen werden. Deshalb arbeiten wir an engeren, gegebenenfalls auch institutionalisierten Kooperationen mit Bildungseinrichtungen. Die geplante Eröffnung einer Außenstelle des IZF, etwa an der Fachschule für Keramik in Höhr-Grenzhausen, ist ein erster Schritt in diese Richtung.
M.F.: Für die Unternehmen sind vor allem wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen in der Rohstoff-, Umwelt- und Energiepolitik wichtig, um die industrielle Produktion langfristig am Standort Deutschland zu sichern. Darüber hinaus ist Technologieoffenheit gerade bei öffentlichen Ausschreibungen das Gebot der Stunde. Dies gilt für Förderprogramme zur Emissionsminderung ebenso wie für die Frage, wie wir zukünftig bauen wollen. Angesichts der erheblichen Herausforderungen beim energieeffizienten und bezahlbaren Bauen sollte darauf verzichtet werden, den Markt zugunsten bestimmter Bauweisen zu verzerren.
www.ziegel.de