24.06.2010 News: Wenn Unternehmer an ihre Grenzen stoßen
Unternehmer gelten vielfach als relativ beratungsresistent – speziell wenn es um ihr persönliches Verhalten geht. Das sind sie aber nicht! Im Gegenteil! Meist sind sie für ein kritisches Feedback offen – jedoch nur, wenn sie in dem Berater einen ebenbürtigen Gesprächspartner sehen. Dann lassen sie sich oft auch gerne führen.
Wer wird Unternehmer statt sich für ein Angestellten- oder gar Beamtendasein zu entscheiden? Darüber wurden bereits viele wissenschaftliche Publikationen verfasst. Sie kommen einhellig zum Schluss: Wer sich freiwillig dafür entscheidet, Unternehmer zu werden – und nicht etwa, weil zum Beispiel der Vater bereits Unternehmer war und dies auch von seinem Nachwuchs erwartet – verfügt über ein ganze spezielle persönliche Disposition. Das heißt, gewisse Eigenschaften sind bei ihm stärker ausgeprägt als beim Bevölkerungsdurchschnitt und er verhält sich in bestimmten Situationen auch anders als das Gros der Menschen.
Als eine zentrale Eigenschaft von Unternehmern wird deren Streben nach Unabhängigkeit gesehen. Das heißt, für viele Selbstständige stellt es (unabhängig vom finanziellen Erfolg) einen Selbstwert dar, Unternehmer zu sein – also selbst der Chef zu sein und das Sagen zu haben. Ein weiterer Faktor, der Unternehmer auszeichnet, ist: Sie haben eine Vision. Das heißt, sie wissen, was sie – zumindest beruflich – in ihrem Leben erreichen möchten. Zum Beispiel: Einen Betrieb mit 50 Mann aufbauen. Oder: Technologie- oder Marktführer im Bereich ... werden. Doch nicht nur dies! Unternehmer sind zudem überzeugt: „Mein Ziel kann ich erreichen, wenn ...“ Und aufgrund dieser festen Überzeugung sind sie auch bereit, (kalkulierte) Risiken einzugehen. Zum Beispiel, eine sichere Festanstellung aufzugeben. Oder sich zu verschulden. Oder (fast) alles, was sie haben, in ein neues Produkt zu investieren.
Credo: Von nichts, kommt nichts
Doch noch weitere Merkmale kennzeichnen Unternehmer: Sie wissen in der Regel: Von nichts, kommt nichts. Deshalb sind die meisten von ihnen bereit, zumindest in der Start- und Aufbauphase ihrer Unternehmen einen deutlich höheren Einsatz zu zeigen als das Gros der Angestellten. 60 oder gar 70 Stunden pro Woche zu arbeiten, erachten sie schlichtweg als normal – wenn man etwas erreichen möchte. Und ebenso selbstverständlich ist es für sie, in gewissen Lebensphasen auf manche Dinge zu verzichten, die für andere Menschen unverzichtbar sind. Zum Beispiel: sechs Wochen Urlaub pro Jahr. Oder: arbeitsfreie Wochenenden, um ausreichend Zeit für die Familie und die persönlichen Hobbys zu haben.
Unter anderem aufgrund dieser Persönlichkeitsmerkmale ist das Streben der meisten Unternehmer auch von Erfolg gekrönt – auch weil sie sich in der Regel noch über eine weitere Eigenschaft verfügen: Rück- und Nackenschläge werfen sie nicht um. Und wenn sich eine Entscheidung rückblickend als falsch erweist? Dann versuchen sie ihr Ziel eben auf einem anderen Weg zu erreichen.
Ausgeprägtes Selbstbewusstsein
Aufgrund dieser persönlichen Eigenschaften, die sie im Verlauf ihrer Biografie immer wieder bewiesen haben, entwickeln die meisten Unternehmer im Laufe der Jahre auch ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Zurecht! Denn sie haben im Verlauf ihrer Unternehmerbiografie auch oft gezeigt, dass sie komplexe Situationen schnell erfassen und analysieren können – aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Bauchgefühls – und
entsprechend fix entscheiden können „So machen wir das – Punkt – aus – basta“, während sich andere noch zögerlich fragen: Sollen wir oder sollen wir nicht?
Entsprechend stolz sind Unternehmer denn vielfach auch auf ihre Fähigkeit, sich zu entscheiden. Entsprechend schwer fällt es ihnen aber umgekehrt oft, sich und anderen einzugestehen „Ich benötige Rat und Hilfe“ – zumindest dann, wenn der Punkt, an dem sie Unterstützung benötigen, auch ihr Selbstbild als Unternehmer tangiert.
Relativ einfach fällt es Unternehmern in der Regel noch, sich fachlichen Rat einzuholen. Also zum Beispiel zu Fragen wie: Welches Buchhaltungsprogramm sollten wir einführen? Oder: Welche Maschine sollten wir kaufen? Oder: Wie sollten wir unsere neue Lagerhalle finanzieren? Denn als Unternehmer ist es nicht ihr Selbstanspruch, in allen Fachfragen top-fit zu sein. Um sich in diese einzuarbeiten, fehlt ihnen aufgrund ihrer Aufgabenvielfalt oft schlicht die Zeit. Also delegieren sie diese gerne an Mitarbeiter oder externe Dienstleister.
Probleme, eigene Grenzen zu akzeptieren
Anders sieht dies meist schon aus, wenn sie vor unternehmerischen Entscheidungen stehen und es ihnen schwer fällt, sich zu entscheiden – also wenn zum Beispiel Entscheidungen anstehen wie: Sollen wir expandieren oder nicht? Oder: Sollen wir eine Produktlinie sterben lassen und dafür eine neue aufbauen? Stehen Unternehmer vor solchen Entscheidungen und fällt ihnen das Entscheiden schwer, dann wurmt sie dies oft sehr. Denn ein Teil ihres Selbstbilds ist: Ich kann mich schnell entscheiden. Deshalb erleben sie solche Situationen zuweilen als persönliche Schwäche, selbst wenn die Ursachen hierfür situationsbedingt sind. Zum Beispiel, weil die künftige Entwicklung des Finanzmarktes nicht vorhersehbar ist. Oder weil gewisse technologische Entwicklungen noch nicht abschätzbar sind. Oder weil die Entwicklung gewisser Märkte schwer prognostizierbar ist.
Am schwierigsten fällt es Unternehmern aber in der Regel, Rat und Unterstützung bei Fragestellungen einzuholen, bei denen sie ahnen: Die hängen direkt oder indirekt auch mit mir als Person und meinen Verhaltensweisen zusammen. Als Beispiel seien hier Problemstellungen genannt wie: Meine Mitarbeiter machen, was sie wollen. Oder: Meine guten Leute verlassen meinen Betrieb oft nach kurzer Zeit. Oder: Ich möchte meinen Sohn oder meine Tochter als Nachfolger in meinem Unternehmen aufbauen, aber irgendwie funktioniert das nicht.
Hierfür gibt es viele Gründe. Ein zentraler ist: Als pragmatische Macher befassen sich Unternehmer meist ungern mit solchen menschlichen, also in ihren Augen „wachsweichen“ sowie „emotionsgeladenen“ Themen – auch weilihnen insbesondere, wenn sie von Haus aus Techniker oder Kaufleute sind, oft die Begrifflichkeit fehlt, um solche Problemstellungen besprechbar zu machen. Außerdem fehlen ihnen aufgrund ihrer Biografie oft Strategien, um solche irrationalen Themen anzugehen.
Entsprechend selten wenden sich Unternehmer denn auch mit solchen Fragestellungen an Berater. Der offizielle Kontaktanlass stellt vielmehr in der Regel ein akutes fachliches oder kaufmännisches betriebliches Problem dar. Der offizielle Anlass kann zum Beispiel lauten: Wir finden nur schwer neue qualifizierte Mitarbeiter – obwohl der Firmeninhaber insgeheim schon weiß: Das eigentlich Problem ist unsere hohe Mitarbeiterfluktuation. Oder: Wir haben in unserer Produktion ein Qualitätsproblem und verlieren deshalb Kunden – obwohl der Unternehmer insgeheim schon weiß: Das eigentliche Problem liegt im Bereich Mitarbeiterführung.
Berater sollen selbst Unternehmer sein
Aufgrund ihres Selbstverständnisse akzeptieren Unternehmer zudem nicht jede Person als Berater. So schreiben sie zum Beispiel Personen, deren Biografie weitgehend durch ein Angestelltendasein geprägt ist, nicht die Kompetenz zu, sie in unternehmerischen Fragen zu beraten. Denn solchen Beratern unterstellen sie, dass sie ihre Arbeitssituation nicht nachvollziehen können; ebenso die Zielkonflikte, in denen als Unternehmer bei ihren Entscheidungen oft stecken. Außerdem unterstellen sie ihnen, dass sie mangels eigenem Erleben nicht nachempfinden können, welchen externen Zwängen sie als Unternehmer oft trotz allen Strebens nach Unabhängigkeit unterworfen sind. Kurz: Unternehmen sehen in Beratern, die selbst noch keine Unternehmer waren oder größere Unternehmenseinheiten geführt haben, in der Regel keine gleichwertigen Gesprächspartner.
Entsprechendes gilt für Berater, die einen primär pädagogischen oder psychologischen Background haben. Diese würden die meisten Unternehmer zwar als Berater bei Beziehungs- oder Erziehungsproblemen akzeptieren, jedoch nicht bei Problemen, die sich aus ihrem Unternehmer-sein ergeben. Für solche Probleme engagieren Unternehmer zumeist Berater, deren Biografie gewisse Parallelen zu ihrer eigenen beruflichen Biografie aufweisen. Denn bei ihnen gehen sie davon aus: Der Berater weiß,
> „wie viele Sachen täglich auf meinem Tisch landen, mit denen ich mich befassen muss“
> „dass im Betriebsalltag vieles nicht machbar ist, was wünschenswert wäre, weil entweder die Zeit oder das Geld fehlt“
> „wie ich als Unternehmer, nachdem ich eine Investitionsentscheidung getroffen habe, oft innerlich zittere, ob diese richtig war“
> „wie grauenhaft es für Unternehmer meist ist, in die Abhängigkeit von Banken zu geraten“,
·„mit wie viel ‚irrationalem Kram’ man sich Tag für Tag als Unternehmer herumschlagen muss, wenn man Angestellte hat.“
Das heißt, in der Regel wollen Unternehmer von Unternehmern beraten werden. Entsprechend wichtig ist es, dass
> die Biografie eines Beraters, der Unternehmer als Kunden gewinnen möchten, entweder entsprechende Elemente aufweist und/oder
> Unternehmer, die zum Beispiel seine Webseite besuchen, sofort spüren: Dieser Berater ist mit den Herausforderungen, mit denen ich mich als Unternehmer konfrontiert sehe, vertraut; er kennt und versteht meine Arbeitssituation. Ansonsten werden der Berater von Unternehmern gar nicht erst als möglicher Unterstützer oder mentaler Sparringspartner in Betracht gezogen.
Die ersten Minuten sind entscheidend
Entsprechendes gilt, wenn der Berater und der Unternehmer sich erstmals gegenüber sitzen. Dann wollen Unternehmer meist spüren: Diese Person tickt ähnlich wie ich. Sie ist zum Beispiel ähnlich risikobereit wie ich. Oder: Sie ist ähnlich leistungsorientiert wie ich. Inwieweit dies zutrifft, testen gerade gestandene Unternehmer in den Erstkontakten gerne aus. Abhängig davon, wie ihr Gegenüber bei diesen Machtspielchen reagiert, fällen sie dann für sich entweder das Urteil:
> „Dampfplauderer“, der mir nichts zu sagen hat, oder > „gleichwertiger Gesprächspartner“, der mich unterstützen kann.
Das heißt, meist werden bei den Erstgesprächen zwischen Beratern und Unternehmern in den ersten fünf bis zehn Minuten schon die Weichen dafür gestellt, > kommt überhaupt ein Beratungskontrakt zustande und
> wie erfolgreich verläuft die Beratung.
Denn als pragmatische Macher sind es Unternehmer gewohnt, sich schnell ein Bild von ihrem Gegenüber zu machen und für sich zu entscheiden: Diese Person kann mich beim Lösen meines Problems unterstützen.
Gewinnen Unternehmer im Kontakt mit einem Berater diesen Eindruck, dann sind sie in der Regel auch sehr offen für ein kritisches Feedback. Denn als Unternehmer wollen sie ihre Wirksamkeit erhöhen. Entsprechend lernbereit beziehungsweise bereit, ihr Verhalten zu verändern, sind sie, wenn sich ihr bisheriges Verhalten als nicht zielführend erweisen hat – selbst wenn das Sich-eingestehen von persönlichen Verhaltensdefiziten zuweilen schmerzt. Dies jedoch nur unter folgender Voraussetzung: Die Person, von der die Lern- oder Veränderungsimpulse ausgehen, wird von dem Unternehmer als kompetenter (Gesprächs-)Partner erlebt. Denn ein gestandener Unternehmer akzeptiert nicht von jeder x-beliebigen Person den Hinweis: Sie sollten einmal Ihr Verhalten überdenken. Hierfür muss der Ratgeber in den Augen des Unternehmers schon das passende Format haben.
Kurt-Georg Scheible ist Inhaber des Trainings- und Beratungsunternehmens ErfolgsCampus, Frankfurt am Main/Stuttgart; des Weiteren Inhaber eines Handelsunternehmens sowie Geschäftsführer und Gesellschafter eines Windparks. Im Oktober startet ErfolgsCampus eine berufsbegleitende Weiterbildung zum Unternehmercoach und -berater. Nähere Info: Tel. 0711/222 54 478; E-Mail: info@erfolgscampus.de).